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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Das, was Kristina immer fortgeschoben hatte, jetzt war es da. Das Unmögliche war Wirklichkeit geworden. Sie rannte wortlos in das Schlafzimmer, schob den Riegel vor, warf sich auf ihr Bett und weinte.
    Es dauerte lange, bis sie sich endlich beruhigt hatte und sich selber eine dumme Gans schimpfte. Sie wusch die Augen klar und ging wieder in die Küche. Die anderen hatten längst gegessen. Der Tisch war abgeräumt.
    »Dein Teller steht im Backofen«, sagte Großmutter. Kristina zwang sich davon zu essen.
    »Wie schaffen wir das bloß? Was lassen wir hier, was nehmen wir mit?«, seufzte Mutter.
    »Da steht mein Koffer«, sagte Großmutter. »Für mich ist das Problem bald gelöst. Die Möbel werde ich verschleudern, Leid tut es mir nur um das Klavier.«
    »Das Klavier, das soll von mir aus der Teufel holen«, sagte Janec und immer noch schwang Erbitterung in seiner Stimme mit.
    »Was hast du nur gegen das Klavier? Du brauchst doch nicht mehr darauf zu spielen«, sagte Mutter.
    »Leider.« Großmutter sah ihn streng an. »In dir steckt ein guter Pianist. Und wenn sich deine Mutter nicht eingemischt hätte, dann . . .«
    »Dann hätte ich eines Tages das Klavier zerschlagen«, lachte Janec. Er klappte den Deckel des Instruments auf, das schwarz und fremd unter der ärmlichen Möblierung stand, und schlug ein paar Akkorde an.
    »Vielleicht hätte ich gern gespielt«, sagte er. »Aber der Mattucz hat’s mir verdorben. Mit dem Rohrstock auf die Finger, weißt du, damit ist bei mir nichts zu machen.«
    »Zwei Jahre hast du Unterricht bei ihm gehabt. Und gestorben bist du nicht dabei.«
    »Ich habe mich gerächt«, lachte er.
    »Ja, ja, ich weiß. Hast absichtlich falsch gespielt. Jedes Mal ist er wütend geworden. Hat sich mit dir seine zwanzig Zlotys pro Stunde bitter verdient. Aber du wirst’s noch bedauern, dass du nicht auf deine Großmutter gehört hast.«
    Sie holte einen Bogen Papier aus der Tischschublade. Plötzlich kam ihr etwas in den Sinn, was ihren Ärger vertrieb.
    »Wisst ihr«, sagte sie und schmunzelte, »wisst ihr, was er einmal angestellt hat? Er hat in der Nacht vor der Klavierstunde den kleinen Eimer mit schmutzigem Wasser über das Klavier gegossen, der Satan.«
    »Ich hab’s im Traum getan, Großmutter. Bis in die Träume hat es mich verfolgt.«
    Sie fuhr fort: »Jedenfalls ist am Morgen um sechs die Aleksandrowicz aus dem Souterrain heraufgekommen und hat gejammert über ihren neuen Deckenanstrich. Ein Rohr sei gebrochen, hat sie gesagt. Alles schwimme in ihrer Wohnung. Ein Rohr! Dabei gibt es Wasserrohre in diesem Kasten nur im Treppenhaus. Dein Mann Kristian hat ihr die ganze Decke neu streichen müssen. Und hat nur gelacht über seinen Sohn.«
    »Lass gut sein, Mutter.«
    »Jaja. Ist vorbei. Aber vielleicht drüben . . .«
    Janec wurde mit einem Male ernst und heftig: »Drüben, Großmutter, mache ich das, was ich will. Ich werde in einer Werkstatt arbeiten, Autos reparieren, Geld verdienen. Hör endlich auf mich wie einen kleinen Jungen zu behandeln.«
    Großmutter brummte etwas vor sich hin, stieg dann aber in den Keller und kam herauf mit einer dickbauchigen kleinen Flasche. »Ihr werdet’s nicht glauben. Aber die habe ich über all die Jahre aufbewahrt für diesen Tag. Es ist Pfefferminzlikör.«
    Sie schaute Mutter erwartungsvoll an.
    »Pfefferminzlikör? Wie lange schon habe ich keinen Pfefferminzlikör gebraut?«, sagte Mutter, wischte den Staub von der Flasche, zog den Korken heraus, hob den Flaschenhals unter ihre Nase und roch.
    »Tatsächlich!«, staunte sie.
    »Ich kann dir genau sagen, wann der gemacht worden ist. Du hat ihn auf Janecs Erstkommunion gemacht vor sechs Jahren. Dein Vater hat den Alkohol besorgt, weißt du noch?«, sagte Großmutter und schnüffelte auch an der Flasche. »Riecht gut, was?«
    Sie holte vier kleine Gläschen herbei und goss ein. Ölig, mit einem leicht grünen Schimmer floss der Likör in die Gläser. »Sie kann vorzüglichen Likör machen, die Rosa«, lobte Großmutter.
    »Ich hab’s von meiner Mutter gelernt.« Mutter kostete. »Schmeckt gut«, sagte sie. »Aber ihr müsstet meinen Eierlikör erst trinken. Danach hat sich selbst mein Vater, der sonst nie einen Tropfen Alkohol über die Lippen bringt, die Zunge geleckt. Das einzige Mal, dass ich ihn mit einem leichten Schwips gesehen habe, das war, als er den Eierlikör auf unserer Hochzeit trank.«
    Drei oder vier Gläschen mochten für jeden in der Flasche sein. Sie tranken sie leer.
    Kristinas

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