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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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traten. Überall, wohin ihre Strahlen fielen, verging der Raureif.
    Sie blieben noch eine Weile auf dem Kirchplatz. Der Pfarrer, ein rundlicher, rosiger Mensch von etwa vierzig Jahren, kam aus der Sakristei. Er begrüßte die Männer und Frauen, die schwatzend in kleinen Gruppen beieinander standen.
    »Seid ihr von dem Jugendhaus herübergekommen?«, sprach er sie an. Sie bestätigten das. »Schon gefrühstückt?«, fragte er.
    »Wir haben Brote in der Tasche«, antwortete Basia.
    »Lasst sie drin«, sagte er. »Ich lade euch ein. Die Schwestern tischen jeden Sonntag so viel auf, dass wir alle davon satt werden. Wartet noch einen Augenblick. Ich komme bald.«
    Er sprach mit einer Gruppe von Männern, die gerade in das Gasthaus gehen wollten, hielt sich aber nicht lange auf. Am Ende der Dorfstraße lag das Schwesternhaus. Die Küchenschwester machte ein saures Gesicht, als der Geistliche gleich neun ungebetene Gäste mitbrachte.
    »Viel Zeit haben wir nicht«, sagte Stanek. »Die anderen gehen jetzt zum Pflanzen hinaus.«
    »Um halb zehn fährt euer Wagen.« Der Pfarrer zwinkerte ihnen zu.
    »Wir sind zu Fuß gekommen«, sagte Andrzej.
    »Stimmt. Und zurück werdet ihr gefahren. Bis an die Pflanzung, wenn ihr wollt. Ich habe mit den Männern vom alten Gut gesprochen. Die sind mit dem Wagen hier und haben Platz genug.«
    Es wurde eine fröhliche Fahrt in den Morgen. Der Wagen der PGR entpuppte sich als ein Traktor mit einem flachen Anhänger, auf dem mehr als zwanzig Menschen bequem Platz fanden. Noch vor zehn sprangen sie bei der Pflanzung ab. Die anderen schleppten gerade die ersten Bündel über den Hügel. Nur eine kurze Mittagspause unterbrach die Arbeit. Als der Busfahrer sie am späten Nachmittag abholte, lobte er sie: »Ihr habt ein gutes Stück Arbeit geschafft.«
    »Ich spüre mein Kreuz«, stöhnte Kristina.
    Der Dank der Republik, den der Leiter zu Beginn der Fahrt wortreich ausdrückte, veranlasste die meisten zu einem kurzen Schläfchen.

Wenn ein Pole liebt, dann verbrennt das Herz seinen Verstand, heißt es. Donatka war nun kein Pole. Jedenfalls nach seiner Meinung nicht. Beharrlich hatte er jedes Mal Widerspruch eingelegt, wenn die Behörden ihm die polnische Staatsbürgerschaft nahe gelegt hatten. Dennoch: Den Verstand hatte er restlos an seine späte Liebe verfeuert. Sagten die Nachbarn. Meinten die Verwandten. Glaubte sein Sohn Stanek. Nur Janina, seine jüngste Tochter, verteidigte ihn. Immerhin war Weronika so ungefähr achtundzwanzig, als Donatka sie heiratete, und keineswegs »so alt wie seine leiblichen Kinderchen«, wie die Nachbarn sagten. Immerhin gab sie sich redliche Mühe, lernte sogar ihrem Mann zuliebe die ersten Wörter der fast vergessenen deutschen Sprache, die sie als Kind einigermaßen beherrscht hatte. Sie war die »wer weiß, wo sie herkommt«, wie Tante Jolanda meinte.
    Weronika war in den letzten Kriegswochen am Ende des Ortes gefunden worden. Sie konnte zwei Worte verständlich sprechen: »Heißt Wroni.« Ihr ging es wie vielen Kindern damals. Die Eltern waren bei der Flucht gefangen, vertrieben worden, vielleicht umgekommen. Die Rilkas hatten die Wroni, wie sie sie fortan nannten, zu ihren drei Kindern aufgenommen und ihr schließlich auch den eigenen Familiennamen gegeben.
    Sicher, sie war in vielem das Gegenteil von Donatkas erster Frau, die, ruhig und ein wenig schwerblütig, ihr Leben lang nichts als Arbeit gekannt hatte. Unauffällig hatte sie gelebt. Ruhig war sie gestorben. Eines Morgens, als Donatka aufwachte, lag sie kalt und steif neben ihm. »Das Herz hat versagt«, sagte der Arzt und zuckte die Achseln.
    Sechs Monate später hatte Donatka Wroni geheiratet und war, vielleicht weil sie annahm, er könne den üblen Nachreden entlaufen, nach Skoronow gezogen.
    »Der alte Bock«, knurrte Stanek seit der Hochzeit, wenn die Rede auf seinen Vater kam.
    »Es ist Liebe«, sagte Janina. Und was ihren Vater anging, konnte das jeder sehen, der es nur sehen wollte. Zwei Jahre dauerte bereits diese Ehe. Donatka fuhr immer noch mit seiner jungen Frau einmal im Monat in die Stadt ins Theater. Er brachte ihr gelegentlich Blumen mit, wenn er von der Arbeit kam. Der Spott der Arbeitskollegen konnte ihn nicht stören. Er hatte sich sogar das Rauchen in der Wohnung abgewöhnt, weil der Qualm Wroni in den Augen biss. Gerade darüber war es zwischen ihm und seinem Sohn zu einer bösen Auseinandersetzung gekommen. Mit sechzehn begann Stanek zu Hause zu rauchen. Donatka verbot es ihm. Es

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