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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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sich wieder auf den Stuhl zurückfallen.
    »Wo’s mir gut geht, da ist meine Heimat«, schrie Stanek.
    »Halt die Schnauze«, fauchte der alte Donatka ihn an. »Willst wohl unsere Heimat verraten, was?«
    »Wo Ihr Vaterhaus steht, junger Mann, wo Sie Ihren ersten Mutterlaut gesprochen haben, da ist das Wurzelgeflecht Ihrer Heimat.«
    Stanek nahm einen tiefen Zug aus dem Glas. Seine Augen funkelten schon bierfeucht. Janec antwortete für ihn: »Bin ich in einem Mietshaus geboren, im vierten Stock. Habe ich polnisch gesprochen«, Janec sprach absichtlich mit starkem Akzent. »Und doch hat meine Großmutter gesagt: Sind wir Deutsche. Wollen wir zurück nach Deutschland. Jetzt bin ich hier. Drüben sind all meine Freunde, alles Polacken, die dort sind geboren. Die dort, in dem Haus, in dem ihr Vater wohnt, zuerst gesagt haben Mamusia. Nicht Mutter. Ist das nicht Heimat für sie? Wollen Sie vertreiben diese Leute?«
    »Keiner will mit Waffengewalt diese Gebiete zurückerobern. Keiner will Krieg«, sagte der Redner. »Sie sind offenbar falschen politischen Parolen aufgesessen. Wir Vertriebenen sind friedliche Menschen.«
    Der hagere, weißhaarige Vorsitzende nahm das halbwegs versöhnliche Wort zum Anlass sich in die Diskussion einzuschalten. »Im Rahmen eines großen Europas wird es vielleicht ein Nebeneinander geben, eine Nachbarschaft von Polen und Deutschen. Ich meine, jeder Mensch soll leben können, wo er leben will.«
    »Fahren Sie mal über die Grenze«, antwortete Janec skeptisch, »dann sehen Sie, dass die nicht für vier Wochen gebaut ist.«
    »Es ist ein Traum«, gab der Vorsitzende zu. »Eine Vision.« Er senkte den Kopf und starrte einen Augenblick vor sich hin. Die Haare fielen ihm in die Stirn. Es war ganz still im Saal.
    »Aber schön ist er, der Traum«, sagte eine alte Frau. »Man lebt davon.«
    Der Vorsitzende besann sich, strich die Haare zurück und sagte: »Oft hat die Geschichte plötzlich Wege aufgezeigt, die kein Mensch zuvor gesehen hat. Liebe Freunde aus der Heimat, lassen Sie uns noch ein paar Lieder singen.« Er stimmte mit seiner klaren zittrigen Greisenstimme an: »Es dunkelt schon in der Heide.«
    Janec brach auf.
    »Ich fahre nach Hause. Das ist hier nichts für mich«, sagte er zum Abschied. Auch Stanek war mit dem Ausgang der Diskussion nicht einverstanden. Er trank. Er trank mit dem alten Donatka um die Wette. Es gab nur einen Unterschied: Der Alte hatte einen erheblichen Trainingsvorsprung.
    Als sie in die Lützmannstraße einbogen, wollte der alte Donatka noch einen »Bettspringer« in der Eckkneipe zur Brust nehmen. Wütend redete Weronika auf ihn ein, doch er sagte nur: »Frauchen, geh nur, ich komme gleich nach«, und kümmerte sich nicht weiter um sie. Weronika rannte in den Hausflur. Sie wollte Stanek und Kristina nicht zeigen, dass sie weinte. Kristina hatte sich bei Stanek eingehängt. Als sie ihn in der Haustür loslassen wollte, drehte er sich plötzlich zu ihr und riss sie nah an sich heran. Seine Bierfahne schlug ihr ins Gesicht. Er presste seine Lippen auf ihren Mund. Sie hing in den Zangen seiner Arme und rührte sich nicht. Er ließ von ihr ab und starrte sie an. Ihre Mütze war in den Dreck gefallen. Die Laterne zeigte ihm das blasse Gesicht, umrahmt von dem schwarzen Kranz der zerzausten Haare.
    »Was ist?«, fragte er, ein wenig ernüchtert.
    »Versuch das nie wieder, Stanek«, flüsterte sie. »Nie! Nie! Hörst du? Sonst hetze ich Wolf auf dich.« Sie stürzte ins Treppenhaus.
    »Verdammter Mist mit den Weibern«, schimpfte Stanek und ging langsam zur Ecke zurück. Als er die Tür zur Kneipe öffnen wollte, schallte ihm lautes, ausgelassenes Geschrei entgegen.
    Kristina schrubbte mit der Zahnbürste ihre Lippen, bis Blut die Borsten rosig färbte. Leise schlich sie ins Zimmer und begann sich im Dunkeln auszuziehen.
    »Ich liege wach«, sagte Großmutter. »Hast du noch Hunger?«
    »Nein, Großmutter.«
    »Wie war’s?«
    Jetzt nur nicht von mir reden, dachte Kristina und sagte: »Janec hat sich angelegt mit einem Alten vom Heimatverein.« Sie erzählte der Großmutter ausführlich das Streitgespräch.
    »Es ist wirklich schwierig mit dem Recht, Kind«, sagte die Großmutter. »Janec hat Recht und der Alte auch. Wenn doch nicht immer alle Recht haben und Recht behalten wollten. Ist wie ein verwirrtes Garnknäuel. Ist’s inzwischen für die Polen Heimat, ist’s noch für die Vertriebenen Heimat? Am besten wär’s, es gäbe nicht zuerst Polen und nicht zuerst

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