Kristina, vergiß nicht
euch rüber und zeig sie dir«, sagte Stanek und trottete seiner Familie nach.
»Ach, die Einladung. Die muss auf dem Schrank liegen. Ich dachte, weil doch Fastenzeit ist, möchten wir zu Hause bleiben.«
Kristina las das Programm und sagte: »Ich finde nichts, was nicht in die Fastenzeit passt, Großmutter. Erst eine Volkstanzgruppe, ein Harmonikaorchester, eine Lichtbildserie.«
»Na, dann geh mit den Donatkas, wenn’s dir Spaß macht.«
»Könntest ja mitkommen.«
»Nein, Kind. Ich bin neuerdings frühabends schon schlapp und müde. Ich muss mich, glaube ich, erst an die Luft hier gewöhnen. Ich geh früh ins Bett.«
Kristina verabredete sich mit Stanek und sah, dass er sich darüber freute.
Am Nachmittag kamen Mutter und Janec und brachten den ersten Kuchen mit, den Mutter im Elektroherd gebacken hatte. Janec hatte nichts Besseres vor und beschloss nach längerem Zögern auch mit zum Heimatverein zu gehen. »Hast du den Schlüssel?«, riefen Großmutter und Mutter fast gleichzeitig, als die Donatkas sie abholten.
»Und spätestens um elf muss Kristina wieder zu Hause sein«, fügte Großmutter hinzu.
Alte Leute und junges Volk fanden sich gegen acht im kleinen Saal des Gasthofes »Altes Schifferhaus« ein. Die mittlere Altersschicht war dünn gesät. Immerhin, der Saal war mit siebzig bis achtzig Personen gut gefüllt.
Janec und Stanek hatten in der Nähe der kleinen Bühne zwei Vierertische zusammengestellt. Die Begrüßung war kurz. Offenbar kannten sich die meisten. Das Programm rollte. Nichts Aufregendes. Die Tanzgruppe trug schöne Trachten und die Kindermusikanten klopften auf den Orff’schen Instrumenten munter ihre Stücke herunter. Der Lichtbildervortrag zeigte Dias einer Reise durch »Unsere damals so schöne Heimat«, wie der Redner es ausdrückte. Die Landschaftsaufnahmen zeigten, dass der Fotograf weit mehr konnte als die üblichen Bildchen einer Rundreise knipsen. Aber er zeigte nicht nur Landschaften. Auch Dörfer, Gehöfte, Straßenzüge.
Alle waren irgendwie unordentlich, nicht gut in Farbe, die Zäune schief, Gras in den Pflasterfugen, auf den Hofplätzen Pfützen.
»Wie bei dem Alten«, erinnerte sich Janec. »Wisst ihr noch, der uns auf der Geige vorgespielt hat?«
»Und einen Schnaps hatte der gebraut. Prost!« Stanek trank schon das dritte Bier und sein Schnapsglas stand leer neben ihm. Die Bilder von den Städten zeigten Hinterhöfe, unsaubere Straßen, selten einmal die City, wenig Verkehr. Die Kommentare waren kurz. Schließlich der Schlusssatz: »So, liebe Freunde, so sieht heute unsere Heimat aus, unsere schöne alte Heimat. Verkommen. Die Felder zum Teil versteppt, die Dörfer nur notdürftig wieder zusammengezimmert, die Städte zeigen allzu oft das Möchte-gern-und-kann-doch-nicht. Was ist aus unseren sauberen Orten und Städten geworden?« Beifall.
Janec war auf einmal hellwach. Er meldete sich als Erster, als der Vorsitzende aufforderte Fragen zu stellen.
»Ich komme gerade von drüben. Es ist doch anders dort als das, was Sie zeigten.«
»Lieber junger Freund«, schoss der Redner hoch, »wollen Sie etwa behaupten, ich hätte meine Dias in Afrika geschossen und nicht in unserer alten Heimat?«
»Das nicht gerade. Sie mögen sie schon in Polen . . .«
»Ostdeutschland!«, rief jemand dazwischen. Janec ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und fuhr fort: »Die Bilder mögen schon in Polen gemacht sein, aber sie sind einseitig.«
»Was meinen Sie damit?«, rief der Redner.
»Sie haben nur die schlechten Ecken ausgesucht und fotografiert. Wenn Sie hier zum Beispiel die Lützmannstraße fotografieren, dann sieht es da auch nicht besser aus.«
»Was ich gesehen habe, habe ich gesehen, lieber Freund«, rief der Redner laut in den Saal.
»Haben Sie denn nicht gesehen, dass die Altstadt von Danzig wunderbar wieder aufgebaut worden ist, dass viele zerstörte Baudenkmäler errichtet sind, dass es große Neubauviertel gibt?«
»Warschau ist wieder aufgebaut worden«, ergänzte Stanek und wischte sich den Bierschaum von den Lippen.
»Ich rede von Ostpreußen, Schlesien und so weiter. Da liegt vieles im Argen. Die Leute von dort ahnen, dass es nicht ihre Heimat ist. Sie . . .«
»Lieber Mann, nun machen Sie aber mal ‘nen Punkt.« Janec erhob sich. »Meinen Sie denn, einer von Ihnen käme noch mal dorthin zurück?«
»Wir haben ein Recht auf unsere Heimat!«, sagte der Vorsitzende. »Jeder hat ein Recht darauf.«
»Heimat! Was ist das?«, sagte Janec und ließ
Weitere Kostenlose Bücher