Kroenung der Liebe
mitfühlend und kam gar nicht auf die Idee, sich ihm zu entziehen.
Gedankenverloren wandte Alex den Kopf in Richtung des Tischs, an dem er noch vor wenigen Tagen mit Charles gesessen und über seine Träume und Hoffnungen gesprochen hatte. Jetzt, keine Woche später, war Charles tot. Sein Blick wanderte weiter zum Fenster und dem immer noch strömenden Regen. Nein, er wollte nicht in kalter, nasser Erde liegen, sein Leben nur halb gelebt, die Träume unerfüllt. Er wollte mehr Zeit für seinen Beruf und noch ein paar Jahre in Freiheit, bevor er sich in sein Schicksal ergab. Aber wie sollte er das anstellen?
„Wenn Sie nicht König werden wollen, kann Ihr Bruder dann nicht für Sie einspringen?“
Mit gefurchter Stirn wandte Alex sich seiner Tischdame zu, die er für einen kurzen Moment ausgeblendet hatte. „Ich habe nie gesagt, dass ich nicht auf den Thron will“, korrigierte er sie. „Sondern nur, dass ich mir etwas mehr Zeit bis dahin wünsche. Matteo und ich sind völlig unterschiedlich aufgewachsen und erzogen worden. Natürlich würde er an meine Stelle treten, wenn mir etwas zustieße, aber …“
Wie kann ich ihr erklären, was ich fühle? Und warum sollte ich das überhaupt tun? Alex wusste es nicht, er spürte nur, dass der Drang, sich Allegra Jackson anzuvertrauen, enorm war. „Sie haben doch vorhin gesagt, dass es ganz natürlich sei, wenn man sich anlässlich einer Beerdigung schlecht fühle.“
„Natürlich, das ist völlig normal und geht jedem so.“
„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Als ich sieben war, starb meine Großmutter. Es war ein riesiges, pompöses Begräbnis. Auf dem Friedhof …“ Warum erzählte er einer Fremden etwas, an das er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte? „Matteo war traurig und verängstigt. Meine Mutter versuchte, ihn zu beruhigen, und als das nicht half, nahm mein Vater ihn auf den Arm. Ich weiß es deshalb noch so genau, weil dieses Bild in allen Zeitungen erschien. Als ich zu weinen anfing, umschloss er meine Hand mit seiner, aber nicht, um mich zu trösten. Er drückte immer fester zu, bis meine Tränen vor Schmerzen flossen und nicht vor Trauer.“
„Aber, ich verstehe nicht …“, flüsterte Allegra entsetzt.
„Sobald wir wieder im Palast waren, nahm er mich mit in sein Arbeitszimmer, nahm seinen Gürtel ab und drohte, er würde mich so lange schlagen, bis ich zu weinen aufhöre.“ Das sagte er völlig sachlich und nüchtern.
„Aber Sie waren ein kleiner Junge von sieben Jahren!“
„Ein siebenjähriger Kronprinz, der eines Tages den Thron übernehmen sollte. Und das war nur eine von vielen Lektionen, die mein Vater mir erteilte. Ein König weint nicht und zeigt keine Emotionen.“
„Kein Wunder, dass Sie sich mehr Zeit für ein eigenes, selbstbestimmtes Leben wünschen!“ Allegra lehnte sich auf ihrer Bank zurück und blies sich aufgebracht die langen Ponyfransen aus der Stirn. „Bevor Sie in Ihr Land zurückgehen und auch noch mit einer Frau vor den Altar treten müssen, die Sie gar nicht …“
Erschrocken brach sie ab. Wie kam sie dazu, sich in das komplizierte, ihr völlig unverständliche Leben eines Kronprinzen einzumischen? Wahrscheinlich lag es an der Wirkung des ungewohnten Champagners. Oder war es einfach Mitgefühl für jemanden, der offensichtlich in einer ebenso großen Klemme steckte wie sie, obwohl er in eine ganz andere Welt gehörte.
„Ich könnte mich in jemand anders verlieben“, überlegte Alex plötzlich laut. „Die Bevölkerung von Santina weiß, dass die Verbindung zwischen Anna und mir keine Liebesheirat ist. Wenn ich allerdings jemanden träfe … natürlich würde es zunächst einen Skandal geben, doch nachdem sich der Sturm gelegt hätte …“
„Ich finde, Sie sollten ganz offen mit Ihrer Braut reden“, unterbrach Allegra ihn. „Wer weiß, möglicherweise geht es Anna ähnlich wie Ihnen und …“ Sie brach ab und lächelte verschmitzt. „Vielleicht sitzt da drüben am Tisch schon die Frau Ihres Lebens, und Sie müssen die Gelegenheit einfach nur beim Schopf packen.“
Dabei wies sie mit dem Kinn in Richtung der immer noch munter schwadronierenden Frauentruppe, doch Alex betrachtete nur fasziniert ihre weichen gekräuselten Lippen und die funkelnden grünen Augen.
„Ich werde mich ganz sicher nicht ernsthaft verlieben, dafür habe ich gar keine Zeit“, erwiderte er gedehnt, „… aber wenn ich so täte …“
In Allegras Hinterkopf begann ganz leise eine Alarmglocke zu schrillen, so entfernt,
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