Krokodil im Nacken
Angst und Einschüchterung verteidigen sie ihre »humanen Werte«. Bist du nicht Freund, bist du Feind. Nicht anders würden sie dich behandeln, wüssten sie, was für Lyrik du fabrizierst. Du aber denkst immer nur daran, wie groß das Risiko ist …
Frau Gottlieb: »Jahrelang hab ich mit der Gesellschaft, die mich umgab, im besten Einvernehmen gelebt. Weil ich blinde Kuh diese Harmonie nicht missen wollte, hab ich, was Mann und Sohn dagegen einzuwenden hatten, nicht an mich herangelassen. Was krumm war, hab ich gerade geklopft: Alles nur Anfängerfehler, Kinderkrankheiten, der Fortschritt ist auf unserer Seite. Dachte wer anders, war er eben noch nicht so weit.«
Ihre Geschichte war damit aber noch nicht zu Ende. Eines Tages wurde auch ihr Harald von der Stasi aufgesucht. Man verlangte von ihm, sich von ihr zu trennen. Natürlich lehnte er dieses Ansinnen als Einmischung in seine Privatangelegenheiten ab und sie ließen ihn eine Weile in Ruhe. Bis sie eines Tages wiederkamen, um mit veränderter Taktik auf ihn einzuwirken. Freundlich lächelnd boten sie ihm, dem bisher keine einzige Westreise genehmigt worden war, die Teilnahme an einem WestBerliner Fachkongress an. Dort könne er den Sohn seiner Lebensgefährtin treffen, ihm Grüße von der Mutter überbringen und über weitere Reisen ins kapitalistische Ausland auch später Kontakt zu ihm halten. Er, Harald, das wüssten sie, sei kein Feind der DDR, also müsse ihm doch daran gelegen sein, Anschläge gegen sie aufzudecken. Und läge es denn nicht auch im Interesse seiner Lebensgefährtin, wenn er den Gottlieb alias Peter Seeler davon abhielt, weiter gegen die DDR zu hetzen? Kurz und gut: Er sollte versuchen, etwas über Hans Gottliebs Ostinformanten herauszubekommen. Denn das stand fest: Wer so konkret über die DDR schrieb, hatte sich sein Wissen nicht zusammenphantasiert. Da gab es Kanäle, die zugestopft werden mussten; es ging um aktive Feindabwehr.
Frau Gottliebs Harald lehnte dieses Angebot ab, wusste aber schon, dass die Stasi, nachdem sie sich so weit vorgewagt hatte, nicht locker lassen würde. Seine Besucher nahmen das erst mal nur zur Kenntnis und vergatterten ihn, nichts über dieses Gespräch verlauten zu lassen. Würde er es dennoch tun, würden sie gegen ihn vorgehen. Drei Tage später kamen sie wieder und erneuerten ihr Angebot, diesmal von einigen verschwommenen Drohungen untermauert. Er lehnte weiter jede Zusammenarbeit ab, und so dauerte es nicht lange und die üblichen Schikanen setzten ein: Zucker im Tank legte seinen Wartburg lahm, an seinem Wohnungsschloss war herummanipuliert und die Tür mit Farbe beschmiert worden, nachts läutete das Telefon, ohne dass jemand sich meldete. Außerdem wollte ein Unbekannter ihn zu einem Treffen überreden, ohne zu sagen, wer er war oder was er von ihm wollte. Das alles, so Frau Gottlieb, habe ihr Harald mit viel Gleichmut ertragen. Was er nicht ertragen konnte, war, dass er fortan auch beruflich isoliert und diskreditiert wurde. Plötzlich hatte er nur noch Misserfolge zu verzeichnen. Ganze Versuchsreihen misslangen. Er sagte ihr: »Damit wollen sie mein Ich erschüttern«, und versuchte weiter den Gleichmütigen zu spielen, doch sah sie ihm an, dass sein Selbstvertrauen längst erschüttert war. Er wehrte sich nicht, als er auf einen minderrangigen Posten versetzt wurde, schluckte auch still all die Gerüchte über sein ausschweifendes Privatleben, die kurz darauf im Institut verbreitet wurden. Schluckte und versuchte die Achseln zu zucken, bis er eines Nachts einen Herzinfarkt erlitt, an dem er starb. Als sie ihn am Morgen anrufen wollte und er den Hörer nicht abnahm, beschlich sie sofort ein ungutes Gefühl. Sie fuhr zu ihm, schloss mit ihrem Schlüssel seine Wohnung auf, fand ihn und erlitt selbst einen Herzanfall. Nachbarn, bei denen sie noch klingeln konnte, riefen den Notarzt. Mehrere Wochen lag sie im Krankenhaus; als sie daraus entlassen wurde, beantragte sie die Frührente.
»Und nun sitz ich hier und ›genieße‹ meine alten Tage. Jede Woche einmal der Gang zum Friedhof, ansonsten nichts als einkaufen gehen, fernkucken, lesen. Telefonanrufe erhalte ich nur noch aus dem Osten, Briefe und Postkarten auch. Man sperrt mich nicht ein, bringt mich nicht um; man sieht nur zu, wie ich von Tag zu Tag weniger werde. Doch darf ich mich beschweren, ich, die ich mein Leben, meine Familie und meinen besten Freund einem ganz dämlichen Irrtum geopfert habe?«
Wie hatte Hanne im Heim immer gesagt: Der
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