Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
schikanieren. Dass du ihre Geisel bist, ist das einzige Pfund, mit dem sie wuchern können. Und ich trag dann daran die Schuld.«
    Aber nein, an eine Schikane, die sie betraf, glaubte sie nicht, die langjährige Genossin Gottlieb. »Wir haben doch hier keine Sippenhaft«, empörte sie sich. Hanne war sich da nicht so sicher. Und richtig vermutet, wenige Tage später setzten die Schikanen ein. Ihr Sohn schickte ihr wie immer in den letzten Jahren alle paar Monate ein Paket mit Dingen, die es im Ostteil der Stadt nicht gab und die sehr teuer oder nur schwer zu beschaffen waren – nichts kam mehr heil an. Strumpfhosen – zerschnitten, Tüten mit Kaffee – zerrissen, ein Pullover und eine Bluse – mit irgendwelchen nicht herauswaschbaren Farben bekleckert. Außerdem klingelte von nun an ständig das Telefon. Ging sie ran, meldete der Anrufer sich nicht, nur Atemgeräusche waren zu hören. Als sie sich angewöhnte, den Hörer zu bestimmten Zeiten erst gar nicht mehr abzunehmen, begann der Briefterror. »Verräterschlampe!«, »Staatsfeindin!«, »Solche wie dein Sohn gehören erschossen«, bekam sie zu lesen. Und einmal war ihr zusammen mit einem Brief auch ein Lappen mit einer scharf stinkenden Chemikalie durch den Briefschlitz geschoben worden; der Gestank ging wochenlang nicht aus der Wohnung.
    Sie konnte es nicht fassen. Ihr wurde klar, dass ihr Telefongespräch abgehört worden war, und sie begriff: Es gab sie also doch, die Sippenhaft. Aber was hatte sie denn Falsches gesagt? Weshalb reagierte man gleich dermaßen hart? Wieso wartete man nicht erst weitere Gespräche ab? War ihr Hans ein so gefährlicher Feind, dass man mit Kanonen auf ihn schießen musste und, da man nicht an ihn herankam, sie zur Zielscheibe machte; in der Hoffnung, dass er aus Furcht um das Wohlergehen seiner Mutter seine Tätigkeit gegen sie einstellte? Hatten sie so wenig Größe, dass sie es nicht vertrugen, wenn einer sie öffentlich kritisierte? Sollten sie ihn doch schreiben lassen, was er wollte; er war doch nicht der einzige Westjournalist, der sich so äußerte.
    Eine Woche wartete sie ab; als der Briefterror auch dann noch nicht aufgehört hatte, trug sie alle Briefe und auch den stinkenden Lappen zur Polizei und stellte Anzeige gegen unbekannt. Schon am nächsten Abend kamen ihre beiden Besucher wieder: Ob sie inzwischen mit ihrem Sohn gesprochen habe? Es ekelte sie davor, das Spiel mitzuspielen und so zu tun, als wüsste sie nicht, dass ihr Gespräch mit Hanne abgehört worden war, doch schaffte sie es, über seine und ihre Worte zu berichten, als ginge es tatsächlich um eine noch notwendige Information.
    Der jüngere Stasi-Mann zeigte sich sehr verärgert über diese Äußerungen eines so verbohrten und gefährlichen Klassenfeindes und verlangte von ihr, sich von ihrem Sohn zu distanzieren. »Du kannst nicht Mitglied unserer Partei sein und gleichzeitig Verbindungen zum Klassenfeind aufrechterhalten.« Ihre Antwort: Von ihrem Sohn könne sie sich ebenso wenig lossagen wie von sich selbst; ihr Sohn sei nun mal ihr Sohn, auch wenn er inzwischen zum Feind ihrer Partei geworden sei. Außerdem habe er, wie sie inzwischen erfahren musste, nicht in allem Unrecht. Bestimmte Aktionen gegen sie bewiesen das.
    »Welche Aktionen?« Die beiden stellten sich dumm.
    Sie berichtete von den Paketen, den Telefonanrufen, den Briefen, dem seltsamen Geruch in ihrer Wohnung.
    Wütende Empörung: Ob sie ihnen etwa solch kleinliche Racheakte zutraue? Hätte ihr Sohn die Pakete ordentlicher gepackt, wäre auch alles heil angekommen. Übrigens gebe es all das, was er ihr schicke, auch in der DDR; ob sie es nötig habe, Bettelbriefe zu schreiben? Und die Anrufe, die Briefe, der Lappen? Na, da gebe es vielleicht Bürger, die nicht so viel Langmut aufbrächten wie die zuständigen Organe. Wer mit Dreck warf wie ihr Sohn, durfte sich über solche Reaktionen nicht wundern. Deshalb solle sie in sich gehen und während ihres nächsten Telefonats ihren Hans ultimativ auffordern, seine Wühltätigkeit gegen die DDR zu beenden. Gehe er nicht darauf ein, solle sie ihm mitteilen, dass sie fortan keinerlei Kontakt zu ihm mehr wünsche.
    Es brannte ihr auf der Zunge zu fragen, woher diese von ihrem Sohn beleidigten Bürger denn wüssten, wer sich unter dem Decknamen Peter Seeler verbarg und wie sie an Zeitungsartikel gekommen sein sollten, die doch nur im Westen erhältlich waren. Doch verkniff sie sich das – sie hatte längst aufgegeben, auf irgendeine

Weitere Kostenlose Bücher