Krokodil im Nacken
unter Pseudonym – Peter Seeler, ein Name, der Lenz kurz auflachen ließ –, aber natürlich kam man im Osten bald dahinter, wer dieser so aufmerksame und kritische Beobachter des Lebens im Sozialismus wirklich war. Und so standen eines Tages zwei Herren vor ihrer Tür, die sich als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit auswiesen. Der eine noch sehr jung und sportlich gekleidet, der andere ein ältlicher, sich jovial gebender Herr mit grauem Schnäuzer. Ob sie mal kurz hereinkommen dürften, sie hätten etwas mit ihr zu bereden.
Natürlich durften sie. Sie machte den Genossen sogar Kaffee. Noch mitten im Vorgeplänkel übers Wetter und Was-für-eine-schöne-Wohnung-sie-doch-habe legte der Jüngere dann plötzlich zwei ausgeschnittene Zeitungsartikel vor sie hin. Ob sie den Autor kenne? Sie las den Namen Peter Seeler und schüttelte erstaunt den Kopf. Nie gehört, nie gelesen. Was sollte das Ganze? Da klärte der Ältere sie gemütlich grinsend darüber auf, wer hinter diesem Decknamen steckte, und sie bekam es mit der Angst zu tun. Alles, was mit Hans’ Weggang in den Westen zusammenhing, machte ihr Angst.
»Lies das mal!«, befahl der jüngere der beiden Herren und natürlich gehorchte sie. Der eine Artikel behandelte das Thema Filmpolitik in der DDR – weshalb bestimmte, mit viel Aufwand produzierte Defa -Filme nie gezeigt werden durften –, der andere beschäftigte sich mit der vom Verfasser strikt abgelehnten vormilitärischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen. Oft erschrak sie über die manchmal sehr eindeutige, harte Wortwahl, aber seltsam, keine einzige Zeile erschien ihr unwahr.
»Nun, was sagst du, als Genossin, zu diesen Freundlichkeiten über unseren Staat?«, wollte der Ältere der beiden danach wissen, und sie konnte ihm ansehen, dass er Empörung und Distanzierung erwartete. Da juckte es sie, langjähriges Mitglied der Partei, ihren Sohn zu verteidigen. »Ich würd das nicht so schreiben«, antwortete sie, »aber diskussionsfähig ist das schon.«
Die beiden starrten sie an, als hätte sie soeben einen Anschlag aufs Politbüro gestanden. Gleich darauf begannen sie, sie zu bearbeiten. Nach altbewährtem Krimi-Muster. Der Jüngere spielte das Schwein, gab sich streng, hart, erbarmungslos, der Ältere lenkte immer wieder ein, zeigte sich milde, verständig und versöhnlich.
Der Jüngere: Sie solle Obacht geben, was sie sage. Ihr Sohn sei ein Feind der DDR, ein Verräter und Staatsverbrecher, nicht anders als sein Vater. Die DDR aber werde sich diese fortgesetzte massive Feindtätigkeit eines solchen Schmierfinken nicht länger gefallen lassen. »Unser Arm reicht weit, Genossin Gottlieb. Der reicht über Grenzen hinweg.«
Der Ältere: Er habe auch Kinder. Leider Gottes täten auch die nicht immer, was die Eltern wollten. Wo ihr Platz, ihr Staat, ihre Zukunft sei, wüssten sie aber ganz genau. Da gebe es keine Debatten. Wenn jedoch sie, als Genossin, solch dreiste Angriffe auf ihren Staat auch noch verteidige, sei das falsch verstandene Mutterliebe. Damit helfe sie ihrem Sohn nicht. »Nimm lieber Einfluss auf ihn. Schreib ihm, dass er seine Wühlarbeit gegen unseren Staat einstellen soll. Das wäre auch für dich von Vorteil, Genossin Gottlieb. Du willst deinen Sohn doch irgendwann einmal wieder sehen, nicht wahr? Vielleicht auch mal eine Reise zu ihm machen … Ist ja alles denkbar. Aber natürlich: Staatsfeinden reichen wir nicht die Hand.«
Der Jüngere: »Sollte dein Sohn sich allerdings quer stellen, Genossin Gottlieb, müssen wir dich daran erinnern, dass du nicht nur als Mutter, sondern auch als Mitglied unserer Partei Verantwortung trägst. Wir müssten deinen Betrieb informieren, solltest du auf politischer Ebene dermaßen versagen.«
Eine überflüssige Drohung. Sie wollte doch nicht, dass ihr Hans ihren Staat bekämpfte! Dass er weggegangen war, war schlimm genug; ein Feind durfte er nicht werden. Also erzählte sie ihm, als er das nächste Mal anrief, von diesem Besuch und bat ihn, sich doch lieber anderen Themen zuzuwenden.
Hanne antwortete, das tue ihm alles sehr Leid, er wolle ihr keinen Ärger machen, doch könne er weder seinen Beruf aufgeben noch aufhören, die Wahrheit zu schreiben. So musste sie ihm von dem langen Arm erzählen, mit dem ihre Besucher gedroht hatten. Hanne tröstete sie: Wenn dieser lange Arm alle im Westen lebenden DDR-kritischen Journalisten erreichen wollte, hätte die Stasi viel zu tun. Er fürchte allein für sie. »Dich werden sie
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