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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Duschen gern die Schwänze kontrolliert hatte, um nachzuschauen, ob sie sich die gewaschen hatten, war akzeptiert worden; körperliche Reinlichkeit fiel unter Sauberkeit und Ordnung, keiner sollte außen hui und drunter pfui sein. Und mit schwulen Anwandlungen war bei einem, dessen Frau ewig schwanger war, nicht zu rechnen. Doch dann hatte der Herr über Haus 3 eines Abends auch mal in der Große-Mädchen-Gruppe nachschauen wollen, wie es mit hui und pfui bestellt war, und die abgebrühte Barbara hatte ihn erst brav gewähren lassen und danach eiskalt angezeigt. Und nicht genug, dass Frau Taube daraufhin fast eine Sturzgeburt erlitten hätte, auch Taubes Stellvertreterin Uschi Kalinowski fühlte sich betrogen, tobte, schrie und weinte und gestand eine langjährige tiefe Zuneigung und feste Bindung zu Johann Taube.
    Da flog nicht nur der schlimme Johann raus, da flog die romantische Uschi gleich hinterher. Beide hatten sie Ulbrichts neuntes Gebot nicht beachtet: Du sollst sauber und anständig leben und deine Familie achten.
    In seinem letzten Königsheider Jahr gehörte Manne Lenz einer Jugendgruppe an; alles Lehrlinge, Mittel- und Oberschüler. Da ging es dann nicht mehr so militärisch zu, weil sie ja am Morgen alle zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Heim mussten und die Lehrlinge erst am Abend wieder eintrudelten. Sie hatten mehr Freiheit und fühlten sich nicht mehr voll dazugehörig.
    Auch Manne hatte nach der Schule eine Lehre machen wollen. Möglichst rasch Geld verdienen, möglichst schnell selbstständig sein! Wegen seiner guten Aufsätze aber schlug seine Klassenlehrerin ihm vor, doch wenigstens die mittlere Reife zu erlangen. Da er nicht wusste, welchen Beruf er hätte erlernen sollen – wie und wo hätte er denn seine Träume vom Theater verwirklichen können? –, ließ er sich überreden und wanderte schon bald jeden Morgen zusammen mit drei anderen Jungen und zwei Mädchen bis in die Baumschulenweger Kiefholzstraße. Am Krematorium vorüber führte der knapp dreißigminütige Fußweg – und damit auf dem Heimweg öfter mal durch Beerdigungsgesellschaften und seltsame Gerüche hindurch – und über den Britzer Kanal hinweg. Ein paar hundert Meter weiter blinkte dann schon die rote Backsteinschule in der Ferne und die Zigaretten mussten ausgemacht werden.
    Natürlich wurden die sechs aus dem Heim an dieser Schule als Exoten angesehen. Es war die Zeit der Musikboxen, Bluejeans, Bikinis, Kofferradios und Hawaiihemden; in ihren an den Knöcheln zugeknöpften grauen oder braunen Velveton-Anzügen wirkten sie auf ihre Mitschüler wie Heimkehrer von einer Marsexpedition. Für Manne, der diese Uniform hasste, eine Tragödie. Er kratzte alles Geld zusammen, das er nur irgendwie bekommen konnte, und kaufte sich eine schwarze Popelinhose. Die trug er ab, Tag für Tag, zwei Jahre lang, sommers wie winters, wenn ihm unter dem dünnen Stoff der Hintern abfror. Zweites Kleidungsstück war das dezent karierte taubenblaue Sakko, das er sich zur Jugendweihe aussuchen durfte, drittes – jedenfalls in Herbst, Winter und Frühjahr – ein mächtiger Mohairschal aus einem der grenznahen WestBerliner Läden.
    Aus der Sicht der größtenteils sehr behütet aufgewachsenen Baumschulenweger Jugendlichen haftete den sechs Königsheidern etwas Wildwestartiges, Unberechenbares, nach Meinung der gleichaltrigen Mädchen fast schon Gefährliches an. Und der dunkelblonde, gern spöttisch grinsende Manne, größter und kräftigster der Königsheider Jungen, schien ihnen eine Art wilder Manne aus dem Busch zu sein.
    Manne gefiel an der Schule vor allem die neu gewonnene Bewegungsfreiheit und an der Jugendgruppe, dass Ete Kern und er sich ein Zweierzimmer teilen durften. Zwei Freunde, zwei Betten, zwei Schränke, ein Bücherbord und Etes Kofferradio, mit dem sie heimlich Westsender und damit Rockmusik hören konnten, bis es ihnen aus eben diesen Gründen weggenommen wurde. Dazu jede Nacht lange Diskussionen: Manne, der Idealist und Romantiker, der die Wahrheit und im Leben einen Sinn suchte; Ete, der allein davon träumte, seine Kfz-Mechanikerlehre zu beenden, zu heiraten, Kinder zu haben und ein zufriedenes Leben zu führen. Manne sah Segelschiffe am Horizont und wollte wissen, wohin sie fuhren; Ete verkroch sich lieber in irgendeine gemütliche Höhle. Manne zauberte exotische Landschaften in ihr kleines Zimmer, Ete entwarf eine Wärmestube. Manne stieß alle Fenster auf, Ete schloss sie lieber. Oft stritten sie bis aufs

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