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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Dafür war noch am ehesten Verständnis zu erwarten. Die Schrebergärtner ernteten jedes Jahr Unmengen Obst, fürs Heim waren nur schwer genügend Vitamine zu beschaffen. Weshalb spendeten die Laubenpieper den armen Heimkindern denn nicht mal ein paar Körbe Gesundheit? Eindeutig eine Racheaktion zweier Zu-kurz-Gekommener; dafür gab’s nur zwei Wochen Ausgangssperre.
    Als sie mal im Winter erwischt wurden, gaben sie an, sie hätten wegen Vollmond nicht schlafen können und für die Vorschulkinder einen Schneemann gebaut. Um sie am Morgen damit zu überraschen. Herr Boy, der Nachtwache hatte, glaubte ihnen natürlich nicht und so zogen sie mitten in der kalten Winternacht los und präsentierten ihm ihr Werk. Aus lauter Jux und Übermut hatten sie nach dem Kinobesuch vor den Gruppenräumen der Kleinen ja tatsächlich noch einen Schneemann gebaut.
    Es war Ete, der diese Kinobesuche finanzierte. Von seinen achtzig Mark Lehrlingsgeld. Mannes zwanzig Mark monatliches Taschengeld gingen für Hemden und Strümpfe drauf. Er konnte doch nicht in den Achselklappen-Heimhemden und mit den ausgeleierten Heimstrümpfen an den Füßen zur Schule gehen.
    Das mit den Klamotten war ein allgemeines Problem. Was nützte es ihnen denn, dass sie sich anlässlich der Jugendweihe jeder für sechshundert Mark einkleiden durften? Da waren ja die Erzieher mitmarschiert und hatten dafür gesorgt, dass jeder Junge mit einem onkelhaften Anzug oder einer Kombination aus Sakko und Hose und jedes Mädchen mit einem tantenhaften Kleid oder Kostüm zurückkam. Außerdem wurde das Geld für einen Sommermantel, Schuhe, Unterwäsche und einen Sommerschal ausgegeben; Partei und Regierung wollten sich ihrer Staatskonfirmanden nicht schämen müssen. Dass die so reich Beschenkten in dieser Kledage nachts nicht über den Zaun klettern konnten, interessierte nicht. Ordentlich sollten sie aussehen, als sie in der großen Aula der Nachbarschule mit aufmunternden Trompetensignalen, Arbeiterliedern, klassenkämpferischer Lyrik und festlichen Reden aus der Kindheit entlassen wurden. Für Manne war das einzig Gute an diesem Tag, dass Robert und Reni und Tante Grit gekommen waren und ein paar Geldscheine mitgebracht hatten. Ein bitter nötiger warmer Regen, der auf dem ausgetrockneten Boden, auf den er fiel, nur leider allzu rasch verdunstete.
    Onkel Karl allerdings war nicht gekommen. Er hatte sich dieses »pseudosakrale Brimborium« nicht antun wollen. »Der Kommunismus mag für primitive Völker wie Chinesen, Russen und Balkanesen ja ganz gut sein«, hatte er mal zu Manne gesagt, »zivilisierte wie uns stößt er in die Urzeit zurück.« Und weil Onkel Karl so strikt gegen den Kommunismus war, war er auch gegen die Jugendweihe. Nur weil er gehört hatte, dass man im Berufsleben Nachteile haben könnte, wenn man nicht daran teilnahm, hatte er Manne zugeraten, sich den »roten Schlips« umbinden zu lassen. »Gibt dir ja keiner was dafür, wenn du den Widerstandskämpfer spielst.«
    Manne hatte auch gar keine Lust, den Widerstandskämpfer zu spielen. Wozu denn? Alles in allem ging’s ihm doch gut. Er bekam zu essen, wurde gekleidet, hatte Freunde. Was ihm fehlte, waren Zuneigung und Zärtlichkeit; es war mal wieder niemand da, der ihn küsste. Doch wen hätte er dafür verantwortlich machen sollen? Erzieher konnten keine Eltern ersetzen und mit Fremden schmuste man nicht herum.
    Was Manne fehlte, konnte er nur in einer Richtung suchen – bei den Mädchen. Zum Glück gab’s davon in der Königsheide nicht gerade wenig.
    Manne suchte viel und wurde oft fündig. Jedoch immer nur für kurze Zeit. Deutete eins der Mädchen aus dem Heim an, dass er ihr gefiel, und war sie einigermaßen sein Typ, war er sofort bereit, sich in sie zu verlieben. Konnte er nicht so mit ihr reden, wie er sich das vorgestellt hatte, erlosch die Liebe schnell. Zwar war er groß wie ein Mann, aber frühreif war er nicht. Er wollte Händchen halten, küssen und reden, reden, reden; in allem anderen war er eher ein Spätzünder. Weil er aber dermaßen suchte und mit vielen Mädchen gesehen wurde, galt er als großer Weiberheld. Eine Rolle, die er sich nicht ausgesucht, gegen die er aber auch nichts einzuwenden hatte; war ja vielleicht ganz gut, wenn niemand merkte, dass er in Wahrheit eher ein Schüchterling war.
    Da war die Sache mit Mieze, die mit einem zwei Jahre älteren, blond gelockten Elektrikerlehrling aus einer anderen Gruppe ging. In der Heimschule hatte sie neben Manne gesessen, und

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