Kronhardt
Umschlag vor. Steiner steckte ihn ein, ohne ihn zu öffnen. Er drückte Willem einen der Koffer in die Hand, und so gingen sie zum Mercedes.
Auf der Fahrt sprachen sie nicht. Willem lieà Morgenluft durch die Seitenscheibe und war froh, daà der Berufsverkehr abgeflaut war. Einmal drückte er aufs Gas, um noch eine grüne Ampel zu erwischen, und war erstaunt über die Schubkraft, die kaum mit der des Käfers zu vergleichen war. Danach zogen sie sanft über die freigeschalteten Kreuzungen. Die Schläge aus der StraÃe waren anders als auf dem Transit, und rings die bekannten Stadtbilder schienen eng an den bedrückenden Alltag gekoppelt. Trotzdem kam er auf der kurzen Strecke etwas zu sich und spürte Momente aufsteigen, die er aus Berlin konserviert hatte. Er sah Marisol, er sah Schlosser, und er sah sich selbst die grandiosen Schlachtfeste und kannibalischen Heldentaten ausrufen, und neben ihm auf der Werkbank der Bursche mit Mantel und Onassis-Brille lachte, wie sein Vater gelacht hatte.
So steuerte er den Mercedes bis vors Haus. Er trug Steiner einen Koffer hinterher, und die Mutter öffnete die Tür. Sie nahm beide Hände des kleinen Mannes und hielt ihm ihre Wange hin. Kronhardt wartete im Hintergrund. Er sah erfrischt aus, neigte einmal seinen Kopf, drückte Steiners Hand und schlug ihm dann auf die Schulter.
Willem kam an diesem Tag nicht mehr dazu, die verlorene Zeit wieder einzufangen. Die Mutter erteilte ihm Anweisungen, und den Rest des Tages blieb sie mit ihrem Gast verschwunden. Kronhardt lieà sich ein paarmal blicken; meist schien er auf dem Weg zu seinen Medikamenten, doch tatsächlich wollte er jedesmal wissen, was Willem bereits abgearbeitet hatte. Und bevor er wieder verschwand, hustete er oder schneuzte sich. Und für Willem wurde es offensichtlich, daà er den Alten auch weiterhin noch vertreten sollte.
In den kommenden Tagen konnte er nichts von dem umsetzen, was er sich vorgenommen hatte. Das Leben zermürbte in alltäglichen Endlosschleifen, und noch die Freude auf den Feierabend ging oft genug in stumpfer Erschöpfung verloren. Und wenn er am nächsten Morgen aufstand, fühlte er sich unausgeschlafen und muÃte dennoch alle Müdigkeit überwinden, um die ewige Routine zu handhaben. Er schrieb Angebote, warb um Neukunden, telefonierte Lappalien hinterher, und sobald er etwas abgearbeitet hatte, drängten bereits neue Aufgaben. Er gab Zuweisungen in der Produktion, kümmerte sich um Beschwerden, holte Kunden vom Bahnhof ab. Abends lag er dann auf dem Sofa, hörte Mozart oder Bach, und manchmal bekam er Angst, daà zarte Struktur und Substanz, die er sich aus Berlin konserviert hatte, bereits dabei waren zu zerfallen.
Die Besuche bei Deutschmeister oder dem Brauereidirektor waren obligat, und meist ging es darum, gegenseitige Gefälligkeiten zu pflegen. Es war ein Feld, daà die Mutter für sich beanspruchte, und auch wenn sie davon sprach, Willem in diese Besuche einzuweihen, hatte sie sich noch nicht dazu überwunden. Doch plötzlich sollte er ein bereits vorgelegtes Angebot mit der Bierbrauerei nachverhandeln; die Mutter ahnte, worauf der Direktor spekulieren würde, und so instruierte sie Willem. Als er losfuhr, hatte er kaum Spielraum zur Verhandlung, und er beschloÃ, keine Zeit zu verschwenden.
Er stieà ein in die Hopfen- und Malzgerüche, der Pförtner geleitete ihn zum Direktor, und aus seinem Büro hatte Willem Blick über den FluÃ. Er gab unumwunden zu, wenig Zugeständnisse machen zu können, und drückte zugleich seinen Wunsch danach aus, eine Lösung zu finden, bei der beide Seiten das Gefühl eines vorteilhaften Geschäftes haben konnten. Der Brauereidirektor schien erfreut über Willems offene Art, sagte aber, daà Gefühle bei ihm im Geschäft nichts zu suchen hätten. Ihm gehe es einzig um Zahlen, und Willem stellte bald fest, daà die MutmaÃungen seiner Mutter falsch gewesen waren und die Nachverhandlung in eine Richtung verlief, auf die er nicht vorbereitet war. Dennoch blieb er bei seiner offenen Art, und als sie schlieÃlich eine Verständigung erzielt hatten, nannte ihn der Brauereidirektor ein ausgekochtes Bürschchen und gab zu, daà nun tatsächlich beide Seiten mit dem Gefühl eines vorteilhaften Geschäftes dastünden.
Unterm Strich hatte Willem die MaÃgaben der Mutter noch übertroffen, doch er wuÃte, daÃ
Weitere Kostenlose Bücher