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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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hereinkam, war er friedlich. Sie ließen ihn in der Waschküche.
    Die alte Stallung war matt beleuchtet, und es roch wie immer auf dem Lüders-Hof. Zwischen den Ständern lag die bereits sortierte Herbstschur der Schnucken; auch Vliesbündel aus dem Frühjahr waren noch da, gekalkte Häute und in einer Ecke ein Haufen mit gekrümmten Hörnern.
    Der Polizist hob einen Arm, und sie duckten sich gegen die niedrige Wand zwischen zwei Ständern. Von weiter vorn, nahe dem Rollflügel zum Wohnhaus, vernahmen sie leise Geräusche. Knacken oder rasselndes Atmen. Dann huschte ein Schatten über die Kalkwand und verschwand wieder. Polizist und Förster sahen einander an. Sie schlichen auf unterschiedlichen Wegen nach vorn.
    Der Schatten erschien erneut, groß, hager, gebogen, und schließlich sprang der Polizist als erster vor. Sein kleiner, dicker Körper bewegte sich flink, fand Deckung, und die Pistole glänzte ruhig im Schummerlicht. Lüders, sagte er gelassen. Laß den Scheiß. Der Schatten tauchte wieder auf, es knackte und rasselte. Lüders. Mensch.
    Der Förster hatte sich neu postiert, und nach kurzem Kontakt mit dem anderen warf er eins der Hörner. Es schlug auf, doch weiter geschah nichts. Nach einer Zeit sagte der Polizist mit ruhiger Stimme: Ich komm jetzt zu dir. Meine Knarre laß ich hier. Hast du verstanden, Lüders. Er trat vor, legte die Waffe hin und zog los. Unbeirrt und noch gelassen, als sich der Schatten wieder über die Wand bog. Der Förster hielt seine Waffe gerichtet. Sein Zwerchfell hielt den Atem regelmäßig, seine Gedanken bündelten sich über Kimme und Korn, er war ganz Jäger. Plötzlich polterte es vor dem Polizisten, eine Forke fiel ins Licht, dann folgte eine Gestalt. Mensch! sagte der Polizist, und seine Stimme war laut. Dann griff er der Gestalt an den Rücken, und ein zahnloses Gesicht mit Segelohren grinste ihn an. Der alte Knecht war taubstumm, und er nickte dem Polizisten zu und brabbelte.
    Die Rollen der Flügeltore waren gut geölt, und im Wohnhaus vermischte sich der Geruch von Wolle mit Ofenfeuer und Zigaretten. An den Wänden hingen ausgestopfte Bälge und Köpfe, weiter vorn drang Licht durch die Küchentür, und sie hörten das Lachen der Brüder. Klirren, derbe Worte. Als sie eintraten, saß einer von ihnen auf der Eckbank, der andere tief im alten Sofa. Beide trugen nur noch Safarihosen und Hüte, ihre Gesichter waren nachlässig gewaschen, und beide hatten eine Frau auf dem Schoß. Die Schüsse auf die Polizei hatten sie längst vergessen. Das war etwas aus einer anderen Wirklichkeit, und sie waren sich keiner Schuld bewußt. Als das Überfallkommando einrollte, stöberten sie den dritten in der Kammer einer Magd auf.
    Sie saßen mit dem Rücken gegen den Kachelofen. Barbara hatte Kaffee aufgebrüht, und die blaue Kanne stand in der Warmhaltenische.
    Die Zeitung lag zu ihren Füßen, und sie fanden es spannend, sich selbst zwischen den Worten zu sehen. Quasi eine Auferstehung, meinten sie, auch wenn sie ganz klar die Lücken, Verfälschungen und den reißerischen Versatz sehen konnten. Doch es blieb ein schönes und spannendes Gefühl, aus der Geborgenheit heraus Rückschau zu betreiben, die Bilder gemeinsam in eine zweite Lebendigkeit zu verwandeln und zu sehen, wie am Ende alle Anfangsbedingungen nur eine einzige Entwicklung zugelassen hatten. Auch wenn sie es reizvoll fanden, sich Spekulationen hinzugeben und vor allem aus der verschobenen Wahrnehmung der Lüders-Brüder eine Realität aufzustellen, in der sie auf dem Hochsitz aufgestöbert und gestellt worden wären, kamen sie doch stets auf das zurück, was aus ihrer Erfahrung heraus geschehen war. Und das reichte ihnen; das war spannend und schön genug, und in die Wärme der Kacheln gedrückt spürten sie, wie Nähe und Hitze vom Hochsitz sie wieder ergriffen.

26
    Willem stand vor der Eisentür. Vor der Fraktur seines Großvaters, vor dem mächtigen Anspruch des Erbes, das er in sich trug. Er hörte das Rattern; das ewige Jahresstampfen gegen die Freiheit und den ewigen Maschinenrealismus gegen alle Visionen. So stand er vor der Eisentür und lächelte. Es war wunderbar: Barbara! Sie hatten sich auf Anhieb gemocht, und wenn die Bilder von ihr in seinem Kopf erschienen, konnte es ihn umhauen. Und über den Takt der ratternden Maschinen hinweg spürte er

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