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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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daß allein dieser Augenblick eine unglaubliche Steigerung darstelle zu dem, was er damals im Watt erlebt hatte.
    So saßen sie, und die harzigen Bretter preßten den Raum immer dichter zusammen. Sie waren umschlungen, sie spürten die Hände unter den Kleidern, und aus ihrem Kopftuch fiel das Haar, eine Beschleunigung reiner Energie, die in der hitzigen Kammer kollidierte.
    Dann hörten sie den Schrei.
    Langgezogen und mit tiefen Schwingungen, die noch durch die Haut gingen. Sie rissen die Augen auf, dann setzte der Schrei erneut an.
    Unten, auf einem kurzgetretenen Platz, sahen sie den Hirsch. Ein feistes Tier mit rot glänzendem Fell und ausgeprägten Muskeln an Blättern und Keulen. Der Hals war geschwollen, der Kopf mit dem kapitalen Geweih vorgestreckt. Seine Schreie trugen weit, schlugen ein ins ferne Holz. Die Schuppen des Heidekrauts schillerten, und die Herbstfäden der Spinnen zogen bis zum Horizont, so daß die Ebene im tief einfallenden Licht manchmal wie ein See erschien.
    Einmal noch schrie der Hirsch, dann trollte er mit zu Boden gesenkter Nase umher. Aus der Höhe konnten sie nochmals die Kraft unter seiner Haut sehen, und aus der witternden Unruhe ahnten sie seinen mächtigen Trieb. Bald richtete er den Kopf wieder auf, hielt die Nase in den Wind, und vom Mittelsproß bog die mächtige Krone. Willem wußte von alten Jägern, die bestimmte Hirschfamilien allein an der Eigenart ihrer Geweihe erkennen konnten, doch Barbara schien sein Flüstern nicht zu hören. Sie sah, wie der Hirsch aus dem Nichts in schnellen Trab fiel und auf eine Reihe hoher Heidesträucher zuhielt. Dort trieb er einen kleinen Trupp Spießer auf, und ihre Schalen blitzten auf der Flucht, und zuletzt sahen sie nur noch ihren Spiegel. Wieder schrie der alte Hirsch; dann hielt er in vertrautem Schritt auf den kurzgetretenen Platz zu.
    Barbara entdeckte den zweiten Trupp zuerst. Es waren Hirschkühe, die sich in einer von Wacholder umwachsenen Senke verborgen hielten. Lichter und Gehör waren ganz auf den Brunfthirsch ausgerichtet, und vom Hochstand war ganz deutlich die Anspannung der Kühe zu sehen. Als wären sie bei allem Drang zur Flucht unfähig dazu, und so schienen sie auf der Stelle zu trippeln, und über den Flanken zuckte die Haut.
    Und in dem Augenblick, als der Platzhirsch die Spur der Kühe witterte, trat ein zweiter Hirsch auf die Ebene. Er schien etwas jünger, kam aus einem Gehölz getrabt, der schwere Kopf in imposanter Art von den Nackenmuskeln getragen. Sein Hals schwoll, und der Schrei klang ganz eindeutig.
    Der Alte ließ die Spur der Kühe fallen und stellte sich dem Jüngeren.
    Prächtig und geschwollen standen sie einander gegenüber. Aus der Senke hatten die Kühe ihre Nasen in der Luft; manchmal schien es, als wollten sie ausbrechen, doch etwas Stärkeres hielt sie offensichtlich zurück. Auch auf dem Hochsitz nahmen sie die Verdichtung wahr, die Erregung und den Drang aus den Geschlechtsdrüsen. Unter die herbe, bereits vom Herbst zertragene Süße der Heideblüten mischte sich ein seltsam unterschwelliger Duft; die Schreie schwollen jetzt noch unter ihrer Haut, und so saßen sie engumschlungen und mit gebanntem Blick.
    Die Hirsche nahmen Anlauf gegeneinander, der Platz unter ihren Schalen erzitterte, und dann brach das Krachen auf unter der Abendröte. Ein zweites Krachen folgte, die Muskeln spannten, die Stangen hakten ineinander, und die Leiber schoben und zerrten. Beim dritten Anlauf veränderte der Ältere im letzten Augenblick die Stellung seines Geweihs, und von oben konnten sie sehen, wie der dolchartige Augensproß dem Jüngeren die Flanke aufriß. Er schreckte nicht, schrie nicht auf, und der rote Schweiß sickerte still seinen Lauf hinab.
    Mit dampfendem Atem standen die Tiere einander gegenüber. Manchmal schien nur noch das Weiß ihrer Augen in die Welt, manchmal glühte es schwarz aus den Höhlen. Ihre Hälse schwollen, sie krachten wieder aufeinander, und die Stangen schlugen hell wie Säbel.
    Barbara spürte das Puckern gegen ihren Leib. Ihre Hand glitt tief in seine Wärme, sie seufzte, und auf ihren Lippen schmeckte sie sein Salz. Die Säbelschläge der Geweihstangen, aus der Senke die Kühe, und Willem fühlte ihre aufstrebenden Knospen. Der ältere Hirsch hatte sich einen Vorteil erkämpft, und zentimeterweise drängte er den Jüngeren zurück. Sie

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