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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Barbara in sich – und mehr noch: die Visionen, die sie ihrerseits von ihm entwickeln konnte. Es war wie eine neue Dimension, daß eine Frau wie Barbara ihn wollte. Willem kam zum erstenmal der Gedanke, daß er bereit war zu opfern.
    Als er die Tür öffnete, hatte Hultschinek den Park bereits runtergefahren. Kronhardt half ihm dabei, die letzten Futterale überzuziehen, und nur noch eine Maschine lief.
    Willem hörte sofort, daß es der Handstickautomat war. Seine Mutter stand hinter dem Relikt; sie sah kurz auf, und er ahnte ein mildes Lächeln, das er kaum von ihr kannte. Sie führte den Pantographen, und Willem sah die ersten Altersflecken auf ihrer Hand. Sie hatte eines von den teuren Handtüchern in den Rahmen gespannt, und die Energie aus Schwungrädern und Treibriemen ging bis in die filigrane Stahlspitze. Und so tanzte die Nadel ins Frottee, und die Fadenrolle rotierte und hüpfte im seltsamen Takt der Buchstabenwerdung – Stich um Stich um Stich unter ihrer harten Führung, und der Pantograph eine Verlängerung ihrer Gedanken. So hielt sie den Tanz der Nadel, schwungvoll und kräftig wie ein Hammerwerfer und im nächsten Moment schon wieder mikroskopisch genau wie ein Chirurg. Willems Mutter. Herb und feminin zugleich reihte sie Buchstabe an Buchstabe, die Geburt eines dunkelroten Wortes auf rotem Grund, und Willem spürte die ratternde Nadel.
    Was, mein Junge.
    Kronhardt stand neben ihm und legte eine Hand auf Willems Schulter.
    So haben wir nach dem Krieg gearbeitet. Genau so. Unzählige Male haben wir den Storchenschnabel geführt und für diese anständigen Kerle gestickt. Den Schriftzug der Giants oder Yankees können wir noch heute im Schlaf.
    Kronhardts Hand war kalt, und Willem spürte, wie sie die Visionen aus seinem Herzen saugte.
    Schau nur, wie deine Mutter arbeitet.
    Er löste sich aus Kronhardts Griff.
    Die Hände deiner Mutter. Sind sie nicht wunderbar – schau, wie sie erschaffen, wie sie gebären.
    Buchstabe auf Buchstabe, Kopf auf Thorax, die Geburt eines dunkelroten Wortes, und Willem spürte, wie die Stiche in ihm ausliefen.
    Was, mein Junge.
    Und Kronhardts Worte wurden vom Rattern zerhackt. Wurden umgewandelt in Energie für Schwungräder und Treibriemen, in Energie, die durch den Storchenschnabel bis in die tanzende Stahlspitze strömte. Kronhardts Worte, dachte Willem, werden auf dem Weg zur Mutter immer zerhackt. Und setzen sich in der Mutter wieder zusammen und füllen sie aus mit ihren Wünschen. Und so, dachte Willem, füllen die beiden Alten sich gegenseitig aus, seit jeher ist der eine aufgebläht mit den Hackstücken des anderen, seit jeher einer die Nachbildung des anderen. Und so waren Kronhardts Worte im Grunde die Worte der Mutter.
    Was, mein Junge. Eine Künstlerin.
    Mein Vater war Künstler.
    Kronhardt tat, als hätte er die Worte nicht gehört, und Willem dachte, daß sein Vater sich geweigert hatte, so eine Nachbildung zu werden.
    Die Mutter sah auf.
    Sie nahm das Handtuch aus dem Rahmen und spannte einen dazu passenden Waschlappen ein. Dann ratterte es wieder, und Willem spürte die Nadelstiche. Seit Jahr und Tag waren sie dabei, auch eine Nachbildung aus ihm zu machen, und er war sicher, daß sie Genugtuung dabei empfanden, seine Wünsche und seinen Willen kläglich zu halten. Während sie alles nur zu seinem Besten taten, als wären sie eingeweiht in eine wunderbare Wahrheit, die sich Willem ohne sie nie offenbaren würde; als kämpften sie nicht nur für ihre Sache, sondern darüber hinaus für ihn. &Sohn, so lächelten die Alten und weideten sich seit jeher an seinem Schmerz.
    Und Willem stand da, und diese Alten wußten nichts von dem wunderbaren Gefühl, das er in sich trug. Barbara, dachte er. Und im Verbund mit ihr würde er das &Sohn endgültig tilgen, würde die Betriebswirtschaft an den Nagel hängen und sich den Traum von den Naturwissenschaften einlösen. Wenn nicht in Berlin, dann vielleicht in Bremen – wie gesagt, er war bereit zu opfern, und mit Barbara schien ihm alles möglich.
    So stand er da, während die Mutter den Storchenschnabel führte. Während Kronhardts Worte vom Rattern zerhackt wurden.
    Als die Mutter das Fußpedal bremste und den Waschlappen aus dem Rahmen nahm, sah sie mit diesem seltsam milden Lächeln auf.
    Kronhardt sagte: Was, mein Junge. Diese Frau Focke hat ja schweren Eindruck

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