Kronhardt
Fleisch abzulutschen.
Barbara nahm einen Schluck Wein; den kleinen Finger hielt sie absichtlich gespreizt. Sich kleiden, sagte sie, sollte mit Lust zu tun haben.
Lust auf dies oder das System?
Man muà nicht alles politisch sehen.
Willem zupfte mit fettigen Fingern an Rollkragen und Jackett. Dann sah er auf. Von deinen Kleidern auf deine Lust zu schlieÃen fällt schwer. Auf den ersten Blick scheint deine Bluse hip, sie ist aber hochgeschlossen und wirkt zusammen mit dem Haarknoten und der strengen Schminke doch eher konservativ. Andererseits könntest du nach wenigen Handgriffen direkt auf ein anarchistisches Happening gehen.
Barbara nahm das als Kompliment. Sie sagte, sie habe die Hippie- und Protestkultur ausprobiert und jetzt ihre eigenen Vorstellungen. Sie schäme sich nicht, auÃerhalb der eigenen Generation zu stehen. Unser System, sagte sie, hat viele Freiheiten geschaffen.
Und für welche Freiheit bist du angezogen?
Für meine eigene.
Hut ab.
Wieso das?
Meine Freiheit. Das würd ich auch gerne sagen.
Sie sah ihn an. Ist es so schlimm?
Was heiÃt schlimm. Manchmal weià ich nicht, ob ihre geisterhafte Fernwirkung nicht längst hier eingedrungen ist.
Barbara nahm seinen Kopf, zog ihn über den Tisch und küÃte ihn. Da drin kannst du frei sein.
Na klar. Und diese Frau stand eines Tages in deinem Laden und sagte, wenn Sie meinen Sohn heiraten, sind Sie alle Sorgen los.
Anstatt zu antworten, bot sie ihm Steinbutt, und Willem saugte das weiÃe Fleisch von ihrer Gabel, preÃte seine Zunge in die Zinken.
Als sie den Brataal probierte, konnte sie sich nicht entschlieÃen, ob er ihr schmeckte.
Dann sagte er: Ich habe mich deinetwegen für Rollkragen und Jackett entschieden. Ich hatte gehofft, es würde dir gefallen.
Barbara lächelte. Aber es gefällt mir doch.
So saÃen sie. Barbara tunkte ihre Finger ins Zitronenwasser, Willem säbelte, und dazwischen blickten sie einander an.
Mein GroÃvater war ein überragender Mann. Und meine Mutter hat von Anfang an klargestellt, daà auch ich dieses Erbe in mir trage. Und daà &Sohn keine Konvention, sondern Verpflichtung ist.
Du wolltest nie in die Nachfolge?
Nein.
Und dein GroÃvater?
Er war der Geschäftsgründer.
Und warum überragend?
Weil er der Vater meiner Mutter ist.
Kanntest du ihn?
Nein. Willem schob sich einen Happen in den Mund. Mein GroÃvater hatte es mit den Aalen. Er kam mit steifem Bein aus dem Ersten Weltkrieg, besorgte sich eine Räucherlizenz und konnte gut davon leben. Während der groÃen Depression trieb er verdeckte Aalgeschäfte. Danach gründete er die Bremer-Stickerei-Manufactur, und die Aale blieben sein privates Steckenpferd. Von 33 an ratterte es Hakenkreuze, die Manufactur lief wie Teufel, und als 45 dann nichts mehr ging, verlegte er sich wieder auf die Aale. Er starb kurz vor meiner Geburt. Wahrscheinlich Ichthyotoxin, das bei der Räucherung nicht zersetzt worden war. Es war ein tragischer Doppeltod, bei dem der GroÃvater die GroÃmutter gleich mitriÃ. Eine Verkettung aus Aal, steifem Bein und Herzensangst.
Und er schob sich noch einen Happen in den Mund.
Es war während eines Spaziergangs in ländlicher Umgebung, als das Nervengift Wirkung zeigte. Der GroÃvater muà zuerst ein Stumpfsein der Zähne verspürt haben, dann Zusammenschnürungen im Hals, Schwindel und erste Atemlähmungen. Die GroÃmutter muà ihn gestützt haben, in Panik auf die nächste Ortschaft zu. Aber da war das steife Bein, und die Eile und das Gewicht des Mannes überforderten sie. Die beiden wurden kurz vor der LandstraÃe gefunden. Die GroÃmutter ist an Herzversagen gestorben, der Körper des GroÃvaters lag über ihr.
Barbara sah ihn an. Was für ein Kerl, dieser Willem. Paranoid, fatalistisch, ein Zyniker â sie wuÃte es nicht.
Er saugte an einem Stück Wirbelsäule und grinste. Anguilla anguilla. Unser guter alter FluÃaal. Wandert zum Laichen in die Sargassosee, und während die Alten dort sterben, werden die Nachkommen als blattförmige Larven vom Golfstrom Richtung Europa getrieben. In den Flüssen entwickeln sie sich dann vom Glas- zum Steigaal und vom Grün- zum Blankaal, der schlieÃlich wieder in die Sargassosee zurückkehrt.
So säbelte er, saugte, und zwischendurch nahm er einen groÃen Schluck Wein.
Aristoteles hat behauptet, daà Aale sich weder aus Begattung noch
Weitere Kostenlose Bücher