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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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kraftbetont, und er spürte, wie sich die Eigenschaften des Burgunders aus der feuchten Mundhöhle der Frau bis in seine Keimdrüsen übertrugen. Er ließ sich fallen, er wurde weich, der Rosenduft ihrer Haut lockte, und Barbara sah mit glücklichem Ausdruck, wie der Mann in ihren Armen zerging.
    So saßen sie am Küchentisch unter der Hängelampe. Die Wärme aus dem Kachelofen schien jeden Winkel zu erfassen, und schließlich sagte Barbara, der Wein sei aus dem Stock ihrer Eltern.
    Willem betrachtete die Flasche mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit. Dann hob er sein Glas. Auf deine Eltern, sagte er.
    Sie starben kurz hintereinander, sagte Barbara. Und so plötzlich.
    Er ahnte, wie sehr sie ihre Eltern vermißte.
    Ich wollte von Anfang an ins Geschäft. Doch meine Eltern überredeten mich zum Studium. Ich ging nach Hamburg und schrieb mich für Kulturgeschichte ein. Eine halbherzige Angelegenheit zuerst, doch vor allem mein Vater hatte immer behauptet, daß Halbherzigkeit Zeitverschwendung sei, und so entwickelte ich bald eine Klarheit. Ich konzentrierte mich vor allem auf die Textilgeschichte, stieß tief in die Materie und konnte schnell die Schnittmengen zwischen der Wissenschaft und meinen Bedürfnissen erkennen. Ich fand Gefallen am Studium, ich entwickelte neue Blickwinkel und war sicher, mit so einem profunden Hintergrund das Geschäft dereinst sicher steuern zu können.
    Und dann geschah es. Ein Schutzmann klingelte mich aus dem Bett und meldete einen dringenden Anruf meiner Mutter. Ich sprang in ein Taxi und versprach dem Fahrer zwanzig Mark extra. Trotz der Geschwindigkeit zog sich die Wegstrecke endlos, doch ich war die ganze Zeit sicher, daß mein Vater warten würde. Als ich dann an seinem Bett saß, lächelte er und schlief bald darauf ein. Meine Mutter folgte ihm einen Monat später. Plötzlich war ich ganz alleine. Ich exmatrikulierte und übernahm das Geschäft.
    Zu Anfang lief es erstaunlich gut, doch Barbara ahnte bereits, daß vor allem die Stammkunden nur aus Mitleid kauften, und tatsächlich schlich sich mit Auslauf der Trauerzeit die Stagnation ein. Das heißt, sagte Barbara, in Wirklichkeit hatte diese Stagnation überhaupt nichts Verborgenes. Schon vor Jahren hätte ihr Vater die Zeichen der Zeit erkannt und eine Wende mit umwälzenden Auswirkungen vorausgesagt. Den Ausbau der Innenstadt zu einer Zone, internationale Warenhäuser und Discounterketten, die Manipulationen einer weitgreifenden Bewußtseinsindustrie. Und natürlich die schwindelerregende Konkurrenz auf dem Stoffsektor, vor allem Fernost, wie gesagt, das den Markt mit Kunstfaser und verbrecherischen Preisen überschwemmte.
    Ihr Vater habe Entwicklungen stets genau beobachtet und in der ihm eigenen Art reflektiert, indem er neue Erkenntnisse bedächtig zu Vorausschau und notwendigem Handeln verschmolz. Das sei sein Motto gewesen als Kaufmann, aber auch als Mensch. So habe er das Geschäft still, jedoch ohne Opportunismus durch den Hitlerfaschismus gelenkt und später, im Wirtschaftswunder, die schwarzen Zahlen stetig potenziert. Doch er habe die Schnelligkeit dieses deutschen Wohlstands unterschätzt; und auch die schier grenzenlosen Möglichkeiten, die beständig aus Amerika herüberwirkten und einen immer radikaleren Einfluß ausübten. Wo der deutsche Hunger nach totaler Macht gedämpft sei, giere das Volk jetzt nach Masse; wo ehedem ein Propagandaminister die Köpfe aufgeweicht habe, manipulierten jetzt die ausgeklügelten Mechanismen einer Wirtschaftsform, und ihr Vater, meinte Barbara, habe in seinem Leben zweimal mit ansehen müssen, wie seine Landsleute so befremdlich gleichgeschaltet wurden. Daß die Techniken zur Beherrschung eines Volkes auch nach 45 so nachhaltig greifen und Unmoral bald zu einer Normalität erheben konnten, hatte ihr Vater einmal gesagt, habe er in seinen Reflexionen außer acht gelassen. Rings, meinte Barbara, boomte eine Realität, die sich quasi selbst außer Frage stellte und gegen die die inneren Werte ihres Vaters naiv, ja bald senil erschienen. Ein weltoffener Mann mit verläßlichen Kaufmannsprinzipien ist er gewesen, die plötzlich nichts mehr wert waren.
    So hatte er im Ehebett gelegen, und mit dem Nachlassen seines Händedrucks war alle wirkende Kraft dieses Mannes – wohin? fragte Barbara. Sie hatte ihren Vater geliebt.
    Später betrachteten sie die

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