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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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spitzstolperte er gekonnt durch die nordeuropäische Küche. Dann verbeugte er sich, und die Mannschaft hob die silbernen Deckel.
    Nach dem Essen gab es Kümmelschnaps. Das zweite Faß wurde angestochen, dann spielte die Kapelle einen Tusch, und Kronhardt stieg auf das kleine Podest. Alle wußten, wann sie zu lachen oder zu klatschen hatten, zweimal parierte er einen süffisanten Zwischenruf, dann schloß er seine Rede mit einer Anekdote über Tradition und Fortschritt, durchaus philosophisch, wie die meisten fanden, doch Deutschmeister mit seinem derben Humor verdrehte den Sinn und forderte sogleich die Quelle einer so schlüpfrigen Weisheit. Die Gäste johlten und starrten gespannt auf Kronhardt, und dann, als wäre alles eine wunderbare Inszenierung, stieg Barbara aufs Podest, hakte sich beim Alten ein, lächelte und soufflierte mit sanfter Stimme eine so maßgeschneiderte Antwort, daß alle Schlagfertigkeit auf ihn zurückfallen mußte. Die Gäste waren begeistert, voran Deutschmeister, und in der bombigen Stimmung breitete Kronhardt die Arme und ließ sich hochleben. Lang, hager und hohlgesichtig, so stand er da. Blickte über den Nasenrücken in die Menge, und der Genuß trieb ihm eine seltene Röte auf die Wangen. Dann gab er das Zeichen, die Kapelle tuschte, und er machte die Eröffnung mit seiner Frau.
    Barbara fand, daß sie gut tanzten. Sie fand auch, daß sie ein schönes Paar waren, vor allem seine Mutter, meinte sie, sei eine hübsche Frau.
    Willem hatte es noch nie so gesehen. Doch Barbara konnte aus ihrem Blickwinkel recht haben, und so schaute er ihnen zu. Sah sie tanzen, als wären sie nie Kronhardt und seine Mutter gewesen, und aus ihren Bewegungen konnte der Eindruck von Selbstvergessenheit entstehen, fließend und leicht, als hätten sie nie an etwas festgehalten. Und seine Mutter konnte plötzlich glücklich erscheinen, ein unbekannter Zustand, dachte Willem, der sie hübsch machte, und auch ihr Paillettenkleid, das bis eben noch wie eine Rüstung gewirkt hatte, versprühte mit einem Mal – wie sollte er sagen: ungeahnte Reflexionen, und ihr kräftiger Körper offenbarte eine Lust am eigenen Geschlecht, eine Bereitschaft, Frau zu sein, wie sie es nie gewesen war, und als die Kapelle die Hammondorgel einsetzte und sie unter Kronhardts Führung eine Drehung machte, fiel ihr eine Strähne ins Gesicht. Sie schien sich selbst darüber zu wundern, daß sie die Strähne nicht sofort zurücksteckte, doch gerade diese Unordnung, fand Willem, machte sie richtig schön – nicht begehrenswert, sondern selbstlos und wohltuend, und für einen Augenblick hatte er die Vision eines Urbildes; eines wundervollen Bildes seiner Mutter, wie sie nie gewesen war.
    Die Wochen hockte Willem in den fensterlosen Hörsälen. Ein unvermeidliches und mathematiklastiges Thema, und er hatte keine Hoffnung, je von dem Stoff gepackt zu werden. Zudem vermittelte der Dozent seine Brocken auf eine Art, die interdisziplinäre Betrachtungen ausschloß. Er schien jederzeit überzeugt von klar definierten Anfangsbedingungen und daraus ebenso klar abzuleitenden Gesetzen, die allen Widerspruch auflösten. Rings die Studenten nickten zu seinen Worten und machten ihre Notizen. Und wenn Willem sich um ein bißchen Auflockerung bemühte, den Dozenten zu einer Anekdote anregen wollte oder nachfragte, ob Gödels berühmter Unvollständigkeitssatz nicht zuletzt auch die Mathematik in der Betriebswirtschaftslehre in Frage stelle, sagte der Dozent nur, er werde jegliche Zeitverschwendung durch die unpassenden Äußerungen einzelner auf die Allgemeinheit abwälzen. Willem gefiel das nicht, doch bevor er etwas erwidern konnte, kam schon der Ruf aus der Menge: Halt doch einfach dein Maul, Kronhardt, und alle klopften.
    So lavierte Willem durch die fensterlosen Hörsäle; durch das System aus Gängen und Boulevards – jede Menge Beton, wie gesagt, und kaum sprießendes Grün.
    Immerhin gelang es ihm, weitere Zeit aus der Stickerei abzuzwacken. Vor seiner Mutter begründete er das mit steigenden Anforderungen im Studium, und nachmittags lag er dann auf dem Sofa. Sprang zwischen den Disziplinen, und was ihn nicht interessierte, ließ er fallen; und wenn ein Haken saß, stöberte er in der Bibliothek nach neuer Verzweigung und Überlagerung, die er mit aufs Sofa nehmen konnte. Und abends traf er sich mit

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