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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Schlosser. Sie lachten, es ging ihnen beiden gut. Schlosser war nun fest mit der Doktorandin zusammen, und er würde sie auf ihrer nächsten Feldforschung begleiten. Sie würden zu den Huicholes nach Mexiko fahren, um vor allem die seelischen und geistigen Aspekte ihrer Kultur kennenzulernen; ihre enge Verbindung zur Natur, ihren Symbolismus und ihre schamanischen Zeremonien in der Sierra, mit denen sie sich Zugänge zu einer anderen Wirklichkeit verschafften.
    Wenn sich während der Feldforschung nichts Grundlegendes an ihrer Beziehung ändere, planten sie, danach zusammenzuziehen. Und dann würde Schlosser auch die Zwillinge holen. Daß Willem seine Metabolie nun mit Barbara anging, freute Schlosser. Nach dem, was er gehört habe, sei er sicher, daß diese Frau Willem guttue, und zuletzt, meinte er, sei es egal, ob man in Mexiko glücklich sei, in Berlin oder Bremen.

28
    Als sie aufstanden, war der Himmel wolkenlos, und unter dem scharfen Licht der Märzsonne trillerten die Vögel. Der Frühstückstisch war gut gedeckt, und durchs Küchenfenster sahen sie die frischen Triebe der Bäume. Willem schlug einen Gang durch den Bürgerpark vor, und Barbara hatte nichts dagegen. Doch als sie später am Fenster stand und rauchte, waren schwere Wolken aufgezogen, und aus der Ferne hörten sie Donner.
    So legten sie sich wieder ins Bett und lauschten dem Gewitter. Ein- oder zweimal verdunkelte der Himmel so stark, daß die Blitze im Schlafzimmer aufzuckten. Nach einer Zeit zog die Front nach Norden ab, doch der Himmel blieb bedeckt, und es regnete weiterhin.
    Durch das sonore Rauschen hindurch sagte Barbara: Eines Tages klingelte im Geschäft meiner Eltern das Telefon, und Inéz war in der Leitung. Obwohl meine Eltern kein Spanisch sprachen, verstanden sie auf Anhieb, daß es etwas Dringendes war. Die Verbindung war von Echos und Verstümmelungen gespenstisch untermalt und erschien meinem Vater wie ein Wurmloch direkt ins Herz der Franco-Diktatur. Mit seinen Brocken Kaufmannsenglisch, aber vor allem mit seiner warmen Art gelang es ihm, Inéz zu beruhigen und notwendige Klarheit in die Situation zu bringen. Er versprach, mich nach Bremen zu holen, und verlor keine Minute. Zur Kaffeezeit saß ich bereits bei meinen Eltern. Anfangs machte mich die Ungewißheit nervös, und ich konnte nicht still bleiben. Doch die Anwesenheit meiner Eltern tat mir gut; sie behielten Ruhe und Gelassenheit, und als das Telefon schließlich klingelte, lächelten sie mir aufmunternd zu.
    Es war ein kurzes Gespräch. Inéz war auf der Flucht; vor dem Mann, den sie heiraten sollte, vor der Zukunft mit ihm und vor der Diktatur. Sie rief aus dem Baskenland an und nannte einen Treffpunkt in den französischen Pyrenäen. Ich versprach, sie dort abzuholen.
    Meine Eltern ahnten bereits, worum es ging, und sie verloren keine Zeit. Meine Mutter packte ein paar Sachen zusammen, mein Vater legte einen Batzen Scheine in seine Brieftasche, und als wir abfuhren, winkte die Mutter mit einem Taschentuch.
    Mein Vater hielt stramm nach Süden. Hinter Frankfurt zogen wir eine Zeitlang durch die Ausläufer der Oberrheinischen Tiefebene, schwenkten Richtung Karlsruhe und hielten danach ziemlich klar nach Westen. Als wir an den Rhein kamen, vertieften sich auf der anderen Seite die Vogesen. Wir nahmen den kleinen Übergang im Morgenlicht; die Zöllner waren auf beiden Seiten freundlich und zogen ohne weiteres die Schranke auf.
    Ich verschlief das Elsaß, und als ich auf der Nationalstraße kurz vor Besançon wieder aufwachte, schämte ich mich für meine Schwäche. Doch mein Vater lächelte nur und zog mich schweigend in seinen Arm. Es war ein unglaublicher Augenblick; wie eine Offenbarung, in der ich eine Kraft meines Vaters spüren konnte, die sich in zwölf Jahren deutscher Geschichte gebündelt und verkapselt hatte. Ich wußte plötzlich, daß er uns klar und wach zum Ziel bringen würde, ganz egal, wo dieses Ziel lag. Und daß er darüber hinaus mehr leisten würde als jeder andere, um Inéz heil nach Bremen zu bekommen.
    Mein Vater fuhr still, ohne Musik oder unnötiges Gespräch. Nachdem wir die Autoroute du Soleil in Richtung der Limousin-Berge gekreuzt hatten, nickte ich wieder ein, und bald holte mein Vater Kissen und Decke aus dem Kofferraum. Manchmal sah ich aus dem Halbschlaf die Landschaften vorbeiziehen; ein Plateau mit zinnfarbenen und

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