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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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oder.
    Zurück am Tisch, zog er das Cordjackett aus und schob die Ärmel vom Rolli hoch.
    Barbara saß da und war schön. Der Rotschimmer im dunklen Haar, das Make-up im Schummerlicht, die Kraft unter der hippen Bluse.
    Die Flasche war verstaubt und fettig, und die Eiswürfel in der Schüssel waren schnell geschmolzen. Doch der Wein war hervorragend. Nachgerade hinterhergeschmissen für fuffzehn Märker, und Willem grinste. Und Achim-das-Tier. Was für ein Trottel mit Schwänzchen. Fraß seine Proletenwurst, soff sein Proletenbier und steckte sich eine Zigarre in den Hals. Was für eine vernagelte Linkshirnigkeit. Was für ein Automatismus, was für eine Offenbarung. Der Comandante mit dem Schwänzchen aalte sich in seiner Macht, indem er dem Establishment fuffzehn Märker abknöpfte für ein wie auch immer gezocktes Fläschchen, das auf dem freien Markt mindestens fuffzig kostete. Chin-chin, und so lachten sie und tranken.
    Und Frederike und Jan-Carl, sagte Willem. Verkleiden sich und tun so, als wäre der ganze Staat hinter ihnen her. Und wenn sie sich verkleiden, weil der ganze Staat tatsächlich hinter ihnen her ist, dann sind sie blöd genug, ausgerechnet dahin zu gehen, wo jeder sie kennt. Was für eine Welt, sagte Willem.
    So saßen sie in Rockmusik und Rauch, und manchmal sahen sie, wie der lange Kerl sie beobachtete.
    Der Wein hieß Pleistozäner Königskalk, und Willem redete sich in Fahrt. Diese Menschen, meinte er, kämen auf die Welt und glaubten, das ganze Universum drehe sich um sie. Ihr Gehirn passe sich jederzeit an die Außenumstände an und mache daraus Persönlichkeit. Egal, ob als Kreuzfahrer, Blockwart oder Kneipier in Zeiten der RAF ; ständig rückten diese Menschen sich und ihre Glaubenssätze in den Mittelpunkt.
    Barbara mochte es, wenn Willem sich derart hinreißen ließ. Dann spürte sie eine ungebändigte Kraft, die, gewissermaßen gezähmt, auch ihr gemeinsames Leben antreiben würde.
    Und auch Willem spürte diese Kraft, und wenn er sich jetzt in Fahrt redete, wenn er die Menschen rings und ihre Welt sezierte, war es vor allem der stets unterdrückte Wunsch nach Selbstbestimmtheit, der diese Worte aus ihm hervorbrachte. Die entscheidende Metabolie, und so steigerte er noch das Tempo, heftete seine Gedanken voll an das Thema, und seine Hände flogen durch Rauch und Rockmusik.
    Diese Protestkultur, rief er, ist zur Nachäfferei verkommen und ebenso ihr Ruf nach Freiheit. Eine Modeerscheinung wie in den Schaufenstern, ein geistiges Vomitat, das schick macht und aufgeklärt, während die rasante Halbwertzeit dieses Phänomen schon jetzt auf ein Nichts reduziert.
    Wenn sie ihren Widerstand wenigstens zur eigenen Verfeinerung nutzen würden, rief er. Doch was! Diesen Protestlern fällt nichts weiter ein, als gegen die klein- und großbürgerlichen Konventionen ihr intellektuelles Dogma rauszupressen. Und mit ihren Schlaghandlungen a là Molotow oder Uzi stellen sie sich nicht gegen die andere Seite, sondern offenbaren gerade ihre desaströse Zwillingshaftigkeit mit dieser anderen Seite. Offenbaren den Staatswolf in ihrer blökenden Moral und noch ihre ganze tiefsitzende Blödheit, weil sie mit ihrer Art von Protest zuletzt nur Immunität und Macht der Oberwelt pflegen und somit wunderbare Rechtfertigung liefern für immer perfidere Gesetze.
    Und Willem lachte. Diese Protestler heften sich Anarchie oder Rotstern ans Revers und halten johlend die Köpfe ihrer Opfer in die Höhe, während Mercedes-Benz oder Deutsche Bank bereits in weltverändernden Dimensionen handeln. Die Spitzen der Oberwelt offenbaren in der Umsetzung ihrer eigenen Ansprüche das ganze Spatzenhirn dieser Protestler – ihre intellektuellen Phrasen, ihr Kampf und ihre Sache zerspritzen einfach an den Grundfesten der Macht.
    Der Zustand der Menschheit, meinte Willem, sei desaströs, und mit seinem Hirn scheine der Mensch schlicht unfähig zu Systemen, aus denen sich umfassende Gerechtigkeit entwickeln könne. Zu Systemen, in denen der einzelne sich in Freiheit entscheiden könne.
    Barbara streichelte seinen Kopf. Sie beide könnten sich für oder gegen etwas entscheiden, ohne dafür erschossen zu werden. Sie könnten eigene Ziele entwickeln und sie mit gemeinsamer Kraft verwirklichen.
    Wir haben unsere Freiheit, sagte sie. Du und ich.
    Ein paar Tage später telefonierte Willem mit

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