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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Selbstverständlichkeit wie das Empire über seine Eroberungen. Willem wußte nicht, wie so etwas angehen konnte, und er blieb vorsichtig mit seinem deutschen Kopf. Aber einmal, als die Wirtin und Barbara in der Küche waren, bot er der Kleinen Whisky an, den sie nahm, als wäre es nichts. Danach sah sie ihn erwartungsvoll an, und er ahnte, daß er klatschen mußte.
    Zum Abend saßen sie meist im Kittiwake oder im Kingpin. Sie probierten Schweinebraten in Orangengelee und Rindfleisch-Nieren-Pudding, doch die hausgemachten Spezialitäten konnten sie nicht überzeugen. Danach hielten sie sich ans Bukolische, kipper oder mutton chop, tranken Starkbier dazu und ließen zum Nachtisch die Whiskykarte kommen. Sie waren heiter, wenn sie durch die Nacht zurückschlenderten, spontan genug für eine Strandpartie im Mondlicht oder einen Abstecher in den Club der Kolonialisten.
    Am vierten Tag kaufte Willem eine Landkarte. Wenn sie Brighton als Basis nahmen, waren die Kreidefelsen ein Tagesausflug. Für die Salisbury Plain mußten sie allerdings mehr ansetzen. Allein die Zugfahrt, meinte er, aber um die Sache geschmeidiger zu machen, könnten sie natürlich auch ein Auto mieten, und er begeisterte sich sofort für die Idee, das Hirn umzuschalten und unabhängig gegen die Ziele der Steinzeit zu steuern. Sie könnten unter den Trilithen schlafen – und warum nicht: ein bißchen Pilz oder Hasch dazu.
    So saßen sie im warmen Vormittag auf der Promenade, der Strandmeister malte eine große Zwei auf seine Windtafel, und im Kanal zogen die Schiffe wie auf einer Glasscheibe. Barbara winkte dem Kellner nach frischem Kaffee, Willem entdeckte die Seven Sisters auf der Karte oder West Kennet, und später fand er ihren Mund warm und den Speichel klebrig. Barbara drückte sich eng in sein Fleisch, und Arm in Arm schlenderten sie unter der Sonne dahin. Willem in seltsam ursprünglichem Zustand, Raum in Raum verschmolzen und mit Plänen, die in die versteinerten Spuren ersten Lebens langten, in erste Kulturgeschichte und eine menschliche Wahrnehmung, deren Realität längst verschollen war. Seine Worte entrückten Barbara, und sie lächelte sanft aus einem Kokon, der frei war vom Hintergrundrauschen des Alltags.
    Vor einem Pub parkten ein paar aufgemotzte Roller, zwei Easy Rider kreuzten die Promenade, und die Sonne stand zugleich auf der See und landwärts in zwei Prielen. Als Barbara sich noch enger schmiegte, machten sie einen Schwenk stadteinwärts. Willem mit seinen Worten tief in der Zeit, die Sonnenbilder auf der See lösten sich auf, und der Druck ihres Körpers erschien ihm wunderbar.
    Old Brighton war schick gemacht; Rotstein und Fugen geputzt, frischer Firnis auf den Fachwerkständern, die Spuren der Fischer und Bootsmacher umgewandelt in eine neue Welt. Die Waren in den Schaufenstern schienen unaufdringlich und teuer, ein dezentes Flair aus Büffelleder und handgemachter Seife. Und während sie bummelten und Barbara ihr Interesse für diese oder jene Kleinigkeit stets mit einer zarten Offenbarung ihrer Innenwelt verband, konnte Willem sich maßlos am Klang ihrer Stimme erfreuen. Er küßte sie bei der Betrachtung von Dachshaarpinseln, er entwickelte Phantasien bei den Flakons, und als sie vor der Auslage eines Herrenausstatters standen, überwältigte Barbara ihn mit ihrer Leidenschaft; verwandelte Stonehenge oder Seven Sisters mühelos in Hechelflachs und Webstuhl, und zuletzt war es egal, ob sie gemeinsam unter Trilithen schliefen oder ganz spontan den Herrenausstatter betraten.
    Roderick&Son war auf Anhieb eine eigene Welt. Die geölten Dielen, Stoffballen, die wie Mumien in Wurzelholzregalen ruhten, dezente Vitrinen mit Krawatten oder Melonen und Anzüge auf poliertem Mahagoni. Nach dem Schlagen der Türglocke erschien ein weißhaariger Herr aus dem Hintergrund, und noch bevor er sich verbeugte, hatte er diese Welt perfekt gemacht. Ernest C. Roderick, sagte er, und daß es ihm eine Freude sein werde, den Herrschaften dienlich zu sein.
    Trotz ihrer Leidenschaft schien Barbara allen Drang zu zügeln; sie ging beinah demütig an die Regale und bat darum, die Stoffe befühlen zu dürfen, und erst aus dieser knisternden Stille heraus überkam es sie. Am Geruch konnte sie Highland- von Eskorialwolle unterscheiden, sie wußte, ob ein Donegal aus Irland oder ein Harris aus Schottland war, und gegen das Licht fand sie die

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