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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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alteingesessener Lage bleiben, und am sinnvollsten wäre hier ein Umzug ins Speicherhaus. So könne das Mutterhaus der Stickerei sukzessive zum wohlverdienten Ruhesitz umgebaut werden.
    Die Bestürzung der Alten war unglaublich. Als wäre Barbara darangegangen, ihnen die Herzen herauszureißen. Diesen dampfenden Schlachtrössern, die alles erlebt hatten und jederzeit bereit waren zu mehr.
    Am nächsten Tag kam Barbara wieder und machte den Vorschlag, einen unabhängigen Berater hinzuzuziehen.
    Ein Berater! riefen die Alten, und es klang, als wollten sie lachen. Ein Berater! Nun, damit entlarve Barbara sich endgültig, und sie sahen sich an und schüttelten die Köpfe. Nicht zu fassen, wie sie so verblendet gewesen wären; Barbaras Fähigkeiten nichts als kunstvolle, ja perfide Täuschungen, und ihre Köpfe wollten es nicht glauben. Und konnte eine Frau wie Barbara dazu noch so dumm sein? – unglaublich, riefen sie, denn würde ein Berater irgendwas von Geschäften verstehen, wäre er selbst ein reicher Mann und nicht der Ratgeber reicher Männer. So saßen die Alten da und offenbarten einander ihre Erschütterung, wie heutige Jugend in die simpelsten Fallen tappte; und mit was für einer Kaltschnäuzigkeit dieselbe Jugend zugleich gegen die Erfahrung der Alten anstinken würde – widerlich, riefen sie, und undankbar, und sie fühlten die Berechtigung ihres Zorns wie eine Wohltat.
    Als sie dem Bankdirektor vom Berater erzählten, nannte er das eine kluge Idee. Obwohl er dabeigewesen sei, als sein Vater noch die große Depression in fette Erträge verwandelt habe; obwohl er Drittes Reich und auch das Wunder danach mitgemacht und beinah jeden Kniff in seinem Metier angewendet habe, könne auch er bis heute nicht auf seinen Berater verzichten. Meyer-Lansky, sagte der Bankdirektor. Ein reputabler Mann, der mit enormem Sachverstand alle Faktoren durchleuchte, um seinen Strahl punktgenau in die Zukunft zu richten.
    Eine Woche später tauchte Meyer-Lansky bei den Alten auf. Ein Mann mit Hut und Zigarre. Brauner Anzug mit Nadelstreifen und immer eine dicke Ledertasche dabei. Ein Mann, der viel fragte. Der jederzeit Sprünge machen konnte und nie den Faden verlor. 36 habe er seinen Doktor in Volkswirtschaft gemacht, danach ein Posten in Berlin. Ja, ja, die Zeit. Und natürlich habe er in viele Töpfe geschaut. Meyer-Lansky, und er forderte Papiere, forderte noch mehr Papiere, und als er nach zwei Wochen wieder im Büro der Alten saß, stellte er sein Gutachten auf: Neubau der Produktion, Umsiedlung der Verwaltung und das Mutterhaus als Ruhesitz.
    Mehrere Tage ließ die Alte sich nicht blicken.
    Dann bestellte sie Barbara zu einem Termin.
    Und Barbara fackelte nicht lange und legte ein sauber getipptes Strategiepapier vor.
    Ein neuer Blickwinkel könne alles verändern, sagte sie. Oder anders: Je bereitwilliger man die Dinge von verschiedenen Positionen aus betrachte, desto umfassender gestalte sich ein Bild. Und um so zielgerichteter könne man Entwicklungen voraussehen und Vorteile einfädeln.
    Im Grunde, meinte sie, ganz simpel. Im Grunde nichts weiter als die Auflösung des Starrsinns zugunsten eines Systems, das flexibel genug sei, um Strategien zu entwickeln, die sich erst in der Zukunft beweisen oder widerlegen ließen. Doch wenn man dieses Denken umsetze, könne man den Strömungen der Zeit nicht nur voraus sein, sondern sie lenken, und wenn sie, die Schwiegermutter, es noch genauer wissen wolle: diese Idee vom Blickwinkel habe sie von Willem. Und wenn die Schwiegermutter mal daranginge, ihre eingefleischte Art der Betrachtung aufzugeben, dann würde auch sie Fähigkeiten und Qualitäten ihres Sohnes erkennen. Nun, wie auch immer. Schließlich sei sie nicht hier, die selbstgemachten Leiden der Schwiegermutter zu kurieren, die übrigens umgekehrt, das hieße von Willems und ihrer Seite, längst überwunden seien – die Drangsal der Alten interessiere sie nicht mehr, und sie pflegten ihr glückliches Eheleben, das frei sei von diesem elenden Hintergrundrauschen. Aber wie gesagt, darum sei sie nicht hier. Es ginge ums Geschäft. Es ginge um Weitsicht, und wenn die Schwiegermutter es so wolle, auch um Härte und Mut. Das seien schließlich vertraute Eigenschaften. Damit hätten sie doch nach dem Krieg alles aufgebaut. Oder nicht? Aus dem Nichts, und diese Eigenschaften könnten auch heute noch

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