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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Siegerspermien. Eine sich verfestigende Genealogie, die erwünschte Eigenschaften immer effektiver selbst organisiere und somit Millionen möglicher Andersdenkender auf der Strecke lasse. Ein Wechselspiel, geformt in Weltgeschichte und zugleich Weltgeschichte formend, und so, meinte Willem, scheine in der menschlichen Evolution eine neue Dimension möglich.
    Barbara warf die Wickler in seinen Schoß. Rosafarbene, stachelige Dinger. Dann lackierte sie ihre Nägel.
    In Anbetracht des Universums aber müsse es auch jenseits der geistigen Evolution jenes nie zu Erfassende geben, in dem Auf- und Untergang nur läppische Gesetzmäßigkeiten wären. Dinosaurier, Heuschrecken oder Galaxien – alles nur ein Furz in der Zeit.
    Sie hatte sich für ein Rot entschieden, das die Reflexe in warme Tiefe zog, und in der Luft verflüchtigten sich die Partikel.
    Im Grunde also, meinte er, sei das Hirn um nichts besser dran als eine Heuschrecke. Es sei denn, es erfreue sich daran, wie es Heuschrecken, sich selbst und jenes nie zu Erfassende bestaunen könne. Das sei doch ein unglaubliches Geschenk, und er könne sich nur eines vorstellen, warum der Geist derart aus dem Ruder gelaufen sei. Daß ihm nämlich all seine Maßlosigkeiten und Perversionen immanent seien – eine läppische Mutation, eine Laune in der Evolution, doch in Anbetracht der Ewigkeit nichts, was einem die Freude am Staunen nehmen könne.
    Als die Farbe getrocknet war, glitt ihre Hand in seinen Schoß. Sie rollte die Wickler dort und trieb die weichen Stacheln durch seine Kleider.
    Vielleicht ist Geist aber auch nur ein Zustand, sagte Willem, der seinen Zustand verstehen will und ganz banal daran verzweifelt.
    Die Stacheln drangen zärtlich ein, und Barbara wußte genau, wie sie ihren Mann jenseits seiner Worte provozieren konnte. Die Reflexe ihrer Nägel stiegen auf, dann nahm sie einen Schluck, wärmte ihn und spritzte den Sherry in seinen Mund.
    Willem ließ die Augen geschlossen; seine Hände schienen durch ihren Körper zu ziehen, und er konnte den gemeinsamen Zustand spüren, jenes Glück.
    Zwei Wochen später saß er wieder im Sprechzimmer.
    Doktor Blask blätterte, das Licht zerflirrte auf seiner großen Brille. Wie gesagt. Erst mal haben wir die Vermehrungsleistung an sich überprüft. Dann sprang er plötzlich auf und leuchtete Willems Augen aus. Zückte das Stethoskop und fuhr mit dem kalten Rundstück über seinen Thorax. Ließ sich die Zunge zeigen, machte den Reflextest.
    Und sonst, sagte er.
    Gut, sagte Willem.
    Ernährung?
    Gut.
    Bewegung?
    Geht so.
    Alkohol?
    Auch.
    Andere Drogen?
    Kaum.
    Studium abgeschlossen, nichtwahr. Blask sah auf. Und weiter?
    Halbtags in der Stickerei. Das ist der Plan. Und der Rest freie Zeit.
    Und Ihre Mutter?
    Hat sich nicht geändert.
    Streß?
    Ich habe meine Strategien. Der Halbzeitplan gehört dazu.
    Und Ihre Frau?
    Wir unterstützen uns gegenseitig.
    Regelmäßig Sex?
    Regelmäßig Sex.
    Dann rückte Blask mit der Sprache heraus: Willem produziere nutzlose Samen, den Eingriff könne er sich also schenken. Und der Doktor grinste.
    Unfruchtbar, sagte Willem.
    Und Blask lachte. Kein ganzer Kerl mehr, was! Ausschuß!
    Ach wo.
    Recht so, Kronhardt.
    Ein Fehlerchen bei der Reproduktion der elterlichen DNA , sagte Blask. Eine Laune der Natur, und ehrlich gesagt, bei solchen Einfällen könne es knüppeldick kommen. Körperbehindert, ein geistiges Wrack – da sei die geschlechtliche Sackgasse nachgerade ein Geschenk. Um so mehr, da Willem sich fortan ohne diesen ständigen Verfolgungswahn hingeben könne – ja, warum denn nicht: Man solle sich ganz offen zu den Vorteilen seiner Unfruchtbarkeit bekennen.
    So saß der Doktor hinter seinem Schreibtisch und schlug mit der Faust auf die Platte. Kinder! Es müßte eine Eingebung, ach was, ein Naturgesetz geben, daß die Menschen erst dann befähige, sich fortzupflanzen, wenn sie mit sich und der Welt im reinen seien; wenn das Phänomen des Geistigen bereits vom Phänomen des Herzens durchdrungen sei. Doch erschreckenderweise fände genau das Gegenteil statt, und die Menschen glaubten fest daran, mit sich und der Welt ins reine zu kommen, sobald sie Kinder zeugten. Aus ihrem Fortpflanzungswunsch heraus produzierten sie Geisterbilder von Glück und Frieden, und sobald die Kinder dann auf der Welt wären, fräßen sie mit ihrer

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