Kronhardt
Rüstzeug sein für die Zukunft. Aber es käme auf den Blickwinkel an, wie gesagt: Diese Stunde Null, das war einmal. Heutzutage nullen die Stunden in ganz anderem Tempo.
Die Alte sah ihre Schwiegertochter an und sagte nichts.
Für den Neubau der Produktion, meinte Barbara, kämen vier Gebiete in Frage. Zwei davon seien bereits fürs Gewerbe ausgeschrieben, über das dritte würde noch verhandelt, und über das vierte existierten nur wunderbare Gerüchte. Man müsse also investigieren; breitgefächerte Kontakte, Analyse von Prognosen und Faktoren und so weiter. Und wenn die Entscheidung getroffen sei, könne man Forderungen stellen; schlieÃlich legten sie an in den Wohlstand der Stadt.
Zeitgleich, sagte Barbara, um mit der neuen Produktion von Anfang an für zukünftige Verhältnisse gerüstet zu sein, müÃten Kontakte hergestellt werden zu Billigproduzenten. Man müsse jederzeit in der Lage sein, sich den Veränderungen des Marktes anzupassen und sowohl Masse wie auch Klasse anbieten. Das hieÃe, Fernost ins Boot zu holen, statt mit Fernost zu konkurrieren. Eine Art gekoppelte Energie, statt sich an diesen endlos zur Verfügung stehenden Arbeitsmassen aufzureiben.
Die Alte sah ihre Schwiegertochter an und sagte nichts.
Barbara zündete sich eine Zigarette an. Sie schien in ihren Gedanken weit voraus und dachte nicht daran, sich ans Fenster zu stellen.
Was das Hartmann-Haus betreffe, sagte sie, halte sie sich natürlich auÃen vor. Doch die Schwiegermutter solle wissen, daà sie ihr jederzeit bei der Planung zum Ruhesitz zur Seite stehen würde. Was aber den Ausbau des Speicherhauses betreffe: Da müsse die Schwiegermutter verstehen, daà sie sich nicht groà reinreden lieÃe. Einerseits würde sie den Speicher zugunsten der Stickerei belasten, andererseits sei er geschützt, und die Auflagen erlaubten keinen groÃen Spielraum. Selbstverständlich aber hätten die Alten das Vorrecht, sich ihre zukünftigen Büroräume auszusuchen beziehungsweise Schnitt und Einrichtung so weit zu gestalten, wie eben Auflagen und Architektur es zulieÃen.
Barbara nahm eine Schale, schüttete die Büroklammern aus und aschte ab. Dann legte sie ein Konzeptpapier für den Umbau vor und versäumte es nicht, darauf hinzuweisen, daà ihr die Meinung der Alten dazu wichtig sei.
Unterm Strich, meinte sie, sehe das Konzept folgendes vor: ein modernes und flexibles Steuerhaus über drei Etagen, das zukünftige Verhältnisse souverän handhaben könne; Standortproduktion ebenso wie überregionale und internationale Aufträge. Natürlich sei es bei so einer Anforderung unabdingbar, von Anfang an mit einer zukunftsorientierten Bürotechnologie zu planen, ohne jedoch, und das sei ihr wichtig, den historischen Charme zu beschädigen. Einerseits sehe sie im Erhalt einer längst vergangenen Zeit eine notwendige Reverenz an die tiefwurzelnde Geschichte sowohl der Hartmann- und der Kronhardt-Linie wie auch der ihrer eigenen Familie; sowie natürlich eine Verbeugung vor den Kunden. Andererseits sehe sie in diesem Brückenschlag zwischen Tradition und Fortschritt die Voraussetzung für ein positives und dynamisches Betriebsklima, denn die Expansion würde zwangsläufig neue Mitarbeiter erfordern â junge Menschen, die die Anforderungen der neuen Zeit selbstverständlich nähmen und denen man von Anfang an das Gefühl geben müsse, Kronhardt&Sohn quasi einverleibt zu sein.
Und was nun die Stoffe und Tuchwaren angehe, sagte Barbara, so würde sie das Geschäft an eingesessener Stelle wiedereröffnen. Zurückhaltend und fein und vornehm, mit dem integrierten Atelier der Spanierin und stets im engen Kontakt zur Stickerei.
Sie machte noch einen Zug, dann drückte sie die Zigarette aus. Die Alte saà seltsam unbeteiligt da. Schluckte womöglich an ihrem Speichel, durch ihre schmalen Lippen konnte ein Zucken gehen, während Sonnenlicht letzten Rauch über den Schreibtisch trug. Dann stand sie unvermittelt auf. Unglaublich, sagte sie, und ihr Körper wirkte kraftvoll wie eh, und aus ihrer Stimme klang die Gewohnheit zur Anordnung. Barbaras Fähigkeit zur Prognose sei einfach unglaublich, und sie könne wohl nicht umhin, in ihrer Schwiegertochter einen Teil ihrer selbst auszumachen. Als wäre Barbara aus ihrer Rippe geschnitzt, und ohne Haltung und Stimme zu verändern, strich sie einmal
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