Kronhardt
schreienden Gier alle Träume und alle Zukunft auf, und in diesem Teufelskreis würde weder die alte noch die neue Generation je mit sich und der Welt im reinen sein. Was für ein offenkundiges MiÃverhältnis zwischen Geist und Biologie, sagte der Doktor.
Dann sprang er auf und umfaÃte mit beiden Händen Willems Arm. Feiern Sie Ihre Unfruchtbarkeit! Mein lieber Kronhardt! Gönnen Sie sich und Ihrer Frau eine gute, ach was, gönnen Sie sich gleich ein ganzes FaÃ! Sie genieÃen Immunität! Sie können mit Ihrem Reproduktionsinstinkt so fidel sein wie nur was und müssen dafür nicht mal unters Messer!
Wie gesagt, die Untersuchung habe als Ursache eine geringfügige Abweichung bei der elterlichen Chromosomenteilung ergeben. Eine statistische Tatsache, die in der Regel jedoch zu vernachlässigen sei. Wenn so eine Abweichung aber aus der Massenerscheinung herausfalle, dann sehe die Sache schon anders aus, und wäre die Natur in Willems Fall nur einen Tick anders gelaunt gewesen, wäre er mit einem Wasserkopf zur Welt gekommen. Oder als Mongoloider. Er habe also Glück gehabt, und ehrlich gesagt: Jeder Lottosechser sei banal gegen dieses Glück.
Dann schnappte Blask nach einem Fachbuch und bohrte seinen Finger in die elektronenmikroskopischen Aufnahmen. Chromosomenfehlverteilung, rief er, Stückverlust oder ungleiche Wiedervereinigung zweier Bruchstücke, und bei aller Statistik offenbarte er erstaunlich viele Möglichkeiten, die zu Defekten führen konnten. Und tatsächlich nannte es der Doktor ein Wunder, daà die Welt nicht überfüllt sei mit Mutanten â beziehungsweise, sagte er, sei die Welt natürlich übervoll davon. SchlieÃlich komme es immer auf den Blickwinkel an. Nun, wie dem auch sei, und er klappte das Buch zu. In Willems Fall hätte er eher auf Wasserkopf gesetzt als auf mongoloid. Und auf Unfruchtbarkeit hätte er nicht einen Pfifferling gegeben.
Am Martinianleger sah Willem Passagiere anstehen zur groÃen Hafenrundfahrt; ein leichter Südwind wehte die Malzdämpfe von der Brauerei, und nach Osten hin tauchten die Aalreusen wie Knochengerüste aus dem glitzernden Schlick. Voran, wo der Fluà eine groÃe Biegung machte, stand das Stadion â elf potente Kerle, die mit ihrem Ledergeist ganz fidel Bälger in die Welt setzten. So marschierte er den Deich hoch, kreuzte die alte PrachtstraÃe und stieà ins Ostertor. Der erste Laden hieà Eule, der zweite Türke, in den dritten kehrte er ein. Schob sich einen Hocker unter und wartete.
Glotztn so blöd!
Glotz ich?
Soll das heiÃen, du hältst mich fürn Lügner!
Zutrauen würd ichs dir.
Kronhardt, du Fickfrosch.
Zwei Schottische, Achim. Vom Besten.
Der alte Schulkamerad hatte seine Art der Verwilderung nicht aufgegeben; Augen und Mund erschienen wie Löcher in seinem Gesicht. Er warf ein Handtuch über die Schulter, zog einen Knockando vor und schenkte mickrig ein.
Zwei Doppelte, Achim. Und dann: Prösterchen. Danach legte er einen Zwanziger hin, sagte, laà stecken den Rest, und marschierte durch die Stumpfe Spitze zum Tageslicht.
Kronhardt.
N Sechser im Lotto.
Was!
N Sechser is banal dagegen.
Kronhardt!
Er machte einen Schwenk durch die BordellstraÃe und winkte den Frauen zu, die hinter den Scheiben posierten. Er zog vorbei an Galerien und Buchläden, am Büro eines RAF -Anwalts. Er zog an einer Detektei vorbei und erinnerte sich an seine Schulzeit: detegere, meinte er, aufdecken, enthüllen, und dann zog er ums Heck einer abfahrenden StraÃenbahn und entdeckte auf der anderen Seite einen Kifferladen. Die Zeit schien im violetten Licht eingefroren, die Musik war psychedelisch, und der erste Typ, den er anhaute, sagte, na klar, Mann, echt bedient.
Mit dem Haschklumpen in der Tasche marschierte er in einen Weinladen; die Verkäuferin war ihm sympathisch, zu seinem speziellen Feieranlaà empfahl sie Chateau Lafite, und er nahm gleich zwei. Er marschierte in die StraÃe, wo der Käfer geparkt stand, klemmte die Flaschen in den Rücksitz, startete, schob die Neue-Welt-Symphonie in den Rekorder und lenkte die bekannte Strecke. Ãber MartinistraÃe und Brill-Kreuzung auswärts, vorbei an Hammerschlägen und Kaskaden, einen Schlenker zu den Silos der Getreidemühle, und dann bullerte der Motor auswärts. Die Alte HeerstraÃe durchs Arbeiterviertel, die Weichbilder vorm Deich, der Geestrücken,
Weitere Kostenlose Bücher