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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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schreienden Gier alle Träume und alle Zukunft auf, und in diesem Teufelskreis würde weder die alte noch die neue Generation je mit sich und der Welt im reinen sein. Was für ein offenkundiges Mißverhältnis zwischen Geist und Biologie, sagte der Doktor.
    Dann sprang er auf und umfaßte mit beiden Händen Willems Arm. Feiern Sie Ihre Unfruchtbarkeit! Mein lieber Kronhardt! Gönnen Sie sich und Ihrer Frau eine gute, ach was, gönnen Sie sich gleich ein ganzes Faß! Sie genießen Immunität! Sie können mit Ihrem Reproduktionsinstinkt so fidel sein wie nur was und müssen dafür nicht mal unters Messer!
    Wie gesagt, die Untersuchung habe als Ursache eine geringfügige Abweichung bei der elterlichen Chromosomenteilung ergeben. Eine statistische Tatsache, die in der Regel jedoch zu vernachlässigen sei. Wenn so eine Abweichung aber aus der Massenerscheinung herausfalle, dann sehe die Sache schon anders aus, und wäre die Natur in Willems Fall nur einen Tick anders gelaunt gewesen, wäre er mit einem Wasserkopf zur Welt gekommen. Oder als Mongoloider. Er habe also Glück gehabt, und ehrlich gesagt: Jeder Lottosechser sei banal gegen dieses Glück.
    Dann schnappte Blask nach einem Fachbuch und bohrte seinen Finger in die elektronenmikroskopischen Aufnahmen. Chromosomenfehlverteilung, rief er, Stückverlust oder ungleiche Wiedervereinigung zweier Bruchstücke, und bei aller Statistik offenbarte er erstaunlich viele Möglichkeiten, die zu Defekten führen konnten. Und tatsächlich nannte es der Doktor ein Wunder, daß die Welt nicht überfüllt sei mit Mutanten – beziehungsweise, sagte er, sei die Welt natürlich übervoll davon. Schließlich komme es immer auf den Blickwinkel an. Nun, wie dem auch sei, und er klappte das Buch zu. In Willems Fall hätte er eher auf Wasserkopf gesetzt als auf mongoloid. Und auf Unfruchtbarkeit hätte er nicht einen Pfifferling gegeben.
    Am Martinianleger sah Willem Passagiere anstehen zur großen Hafenrundfahrt; ein leichter Südwind wehte die Malzdämpfe von der Brauerei, und nach Osten hin tauchten die Aalreusen wie Knochengerüste aus dem glitzernden Schlick. Voran, wo der Fluß eine große Biegung machte, stand das Stadion – elf potente Kerle, die mit ihrem Ledergeist ganz fidel Bälger in die Welt setzten. So marschierte er den Deich hoch, kreuzte die alte Prachtstraße und stieß ins Ostertor. Der erste Laden hieß Eule, der zweite Türke, in den dritten kehrte er ein. Schob sich einen Hocker unter und wartete.
    Glotztn so blöd!
    Glotz ich?
    Soll das heißen, du hältst mich fürn Lügner!
    Zutrauen würd ichs dir.
    Kronhardt, du Fickfrosch.
    Zwei Schottische, Achim. Vom Besten.
    Der alte Schulkamerad hatte seine Art der Verwilderung nicht aufgegeben; Augen und Mund erschienen wie Löcher in seinem Gesicht. Er warf ein Handtuch über die Schulter, zog einen Knockando vor und schenkte mickrig ein.
    Zwei Doppelte, Achim. Und dann: Prösterchen. Danach legte er einen Zwanziger hin, sagte, laß stecken den Rest, und marschierte durch die Stumpfe Spitze zum Tageslicht.
    Kronhardt.
    N Sechser im Lotto.
    Was!
    N Sechser is banal dagegen.
    Kronhardt!
    Er machte einen Schwenk durch die Bordellstraße und winkte den Frauen zu, die hinter den Scheiben posierten. Er zog vorbei an Galerien und Buchläden, am Büro eines RAF -Anwalts. Er zog an einer Detektei vorbei und erinnerte sich an seine Schulzeit: detegere, meinte er, aufdecken, enthüllen, und dann zog er ums Heck einer abfahrenden Straßenbahn und entdeckte auf der anderen Seite einen Kifferladen. Die Zeit schien im violetten Licht eingefroren, die Musik war psychedelisch, und der erste Typ, den er anhaute, sagte, na klar, Mann, echt bedient.
    Mit dem Haschklumpen in der Tasche marschierte er in einen Weinladen; die Verkäuferin war ihm sympathisch, zu seinem speziellen Feieranlaß empfahl sie Chateau Lafite, und er nahm gleich zwei. Er marschierte in die Straße, wo der Käfer geparkt stand, klemmte die Flaschen in den Rücksitz, startete, schob die Neue-Welt-Symphonie in den Rekorder und lenkte die bekannte Strecke. Über Martinistraße und Brill-Kreuzung auswärts, vorbei an Hammerschlägen und Kaskaden, einen Schlenker zu den Silos der Getreidemühle, und dann bullerte der Motor auswärts. Die Alte Heerstraße durchs Arbeiterviertel, die Weichbilder vorm Deich, der Geestrücken,

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