Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
über ihren Kopf. Kind, sagte sie.
    Kronhardt mußte seiner Frau recht geben. Die Schwiegertochter, meinte er, beweise im Grunde nur ihre Fähigkeit, heutzutage umzusetzen, was sie an Rüstzeug von den Alten mitbekommen habe. Wenn sie sich auf irgendwas etwas einbilden könne, dann sei es das Erbe; beziehungsweise ihre Begabung, aus den Überlieferungen der Alten zu lernen.
    Daß sie aber mit sich selber prahle, statt sich vor den Alten zu verbeugen, sei ihrer Unreife geschuldet, ihrem Mangel an Erfahrung und nicht zu vergessen den Prägungen ihrer Zeit: dieser Generation langhaariger Teufel. Und sogar noch, meinte Kronhardt, wenn sich Barbara in ihrer Vermessenheit das geistige Eigentum eines Meyer-Lansky zu eigen mache, könnten sie selber, seine Frau und er, aufgrund ihres immerwährenden Vorsprungs dem Kind gegenüber Langmut walten lassen.
    Nun, und was Willem und seine sogenannten Blickwinkel anginge: Auch da könnten sie aufgrund ihrer am Leben erworbenen Weisheit doch höchstens lächeln. Nichtwahr, denn von wo auch immer man schaue, werde das Versagen des Jungen offenbar. Und da könne man aus noch so schrägem Winkel schauen, bei dem Jungen ließe sich nichts mehr schönreden. Wenn er überhaupt so etwas wie Qualitäten entwickelt habe, dann in der bedingungslosen Rückendeckung für diese Frau – was ja immerhin zeige, daß ihr erzieherisches Bemühen um Ergebenheit nicht vollkommen fehlgeschlagen wäre.
    Die Tage überraschte Kronhardt die Jungen. Tauchte lachend bei ihnen auf, küßte Barbara die Hand, klopfte dem Stiefsohn auf die Schulter. Der Abschluß der Gespräche müsse gefeiert werden, und so lud er in das Restaurant an der Kugelbake.
    Abends saßen sie zu viert im Mercedes.
    Kronhardt genoß Fahrkomfort und neue Autobahn – ein Gleiten, wie er meinte, durch die Schönheit deutscher Lande. Er brachte Anekdoten von früher, als man noch auf die alte Bundesstraße angewiesen war, und nannte Fortschritt Freiheit. Seine Frau hatte den Spiegel heruntergeklappt und zog ihre Lippen nach.
    In weniger als einer Stunde waren sie in Cuxhaven, und als sie das Restaurant betraten, verbeugte sich der Kellner und sagte, ah, die Herrschaften aus Bremen. Die Alten genossen die Bedienung, sie genossen Barbaras Erscheinung und die Blicke der anderen.
    Sie aßen mit Aussicht über die See; Kronhardt orderte nach dem Essen vier Weinbrand, und als Barbara die Bestellung korrigierte und einmal Kümmelschnaps und Sherry anstelle orderte, war das so charmant, daß vor allem die Schwiegermutter die Neugier der anderen genießen konnte. Als jedoch die Gläser bereit waren, stand Willem plötzlich auf, und seine Mutter mußte mit verkrampftem Lächeln zusehen, wie er zu einer Rede anhob; lässig und weltmännisch im englischen Tweed, durchaus eine Erscheinung, die zu Barbaras Vornehmheit paßte; sein Blick über die Kugelbake hinweg gegen den Horizont, und dazu sein Grinsen – ein Ausdruck, den die Mutter voller Schrecken wiedererkannte, während rings die Gespräche verstummten. So hob Willem das Glas, und die Alte spürte die sauren Stoßwellen; die Angst vor dem dadaistischen Erbe seines Vaters, und bald lauschte das ganze Restaurant, die See und noch die Welt, und Willem mit seinem Grinsen brachte einen Aphorismus, der Tradition, Fortschritt und Blickwinkel auf eine so milde Art zusammenbrachte, daß die Mutter sich beim gemeinsamen Trunk verschluckte.
    Willem konnte sich Bemerkungen nicht verkneifen; auch wenn sie halbherzig kamen, stichelte er an ihrer Garderobe und den Finessen vorm Spiegel. Barbara lächelte und tat, als würde er ihrem lausigen Opportunismus schmeicheln. Dann küßte sie ihn und zog mit teurer Duftspur aus dem Speicherhaus.
    Die Schwiegermutter überließ ihr das Steuer, und auf der Autobahn hielt Barbara die Limousine souverän auf der Überholspur. Die Atmosphäre in der Kabine war entspannt, die Frauen plauderten, lachten, Barbara rauchte, zog hinter Verden die lange Ausfahrtskurve auf die Landstraße und steuerte ins Rotenburgische. Wo eine alte Poststraße in den Wald führte, bogen sie ab. Die Buchen waren stattlich, und durch das Grün flirrte der Sommerhimmel. Gelegentlich war ein Findling mit eingeschlagenem Wappen am Wegesrand aufgestellt, und nachdem zweimal Wild gekreuzt hatte, erschien das Jagdschlößchen. Es lag auf einer

Weitere Kostenlose Bücher