Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
englische Fachzeitschrift verwiesen, in der Anomalien wie im Fall Kronhardt beschrieben worden waren. Die Fachzeitschrift sei besorgt worden, der Tote unter den neuen Aspekten betrachtet, und bald darauf sei gerichtlich beschlossen worden, daß Richard Kronhardt tatsächlich an einer Embolie verstorben war. Die ermittelnden Behörden hätten die Akte mit dem Vermerk Natürlicher Tod geschlossen; der Kunstfehler des übereifrigen Jungarztes wurde amtlich, im Totenschein wurde endgültig Embolie als Ursache eingetragen, und eine ganze Stadt fiel vor der Witwe auf die Knie.

35
    Willem bezog schließlich das Büro im Spitzgiebel und verbrachte Zeit damit, es gemütlich einzurichten. Barbaras Linie aus dunklem Holz und gefrostetem Glas hatte er verweigert und statt dessen auf massive, zeitlose Stücke gesetzt – Schreibtisch, Bücherschrank, und auch für Sofa und Tisch hatte er seine Vorstellungen entwickelt. Die in der Decke versenkten Strahler ließ er entfernen und durch die alten Milchglaskugeln ersetzen.
    Er verbrachte einen Teil der Tage in Antiquitätenläden oder telefonierte auf Kleinanzeigen; im Sperrmüll entdeckte er einen Kontorstuhl und eine Scherenleuchte und war erstaunt, welche Begeisterung die im Grunde banalen Gebrauchsgegenstände in ihm auslösen konnten, und während er die Dinge auf den Spitzgiebel trug, wuchs ihm dort ein Gefühl von Geborgenheit.
    Wenn Barbara meinte, er verbringe zuviel Zeit im Spitzgiebel, gelang es ihm meist, ihre eigentlichen Absichten mit ein paar entrückenden Worten zu zerstreuen. Und wenn die Mutter mäkelte, berief er sich auf sein defektes Erbe und schnitt jede weitere Diskussion glattweg ab. Tatsächlich aber hielt die Mutter sich mit ihren Mäkeleien zurück, und jedesmal wenn Willem etwas nach oben trug, das mit ihrem Verständnis von Arbeit absolut nichts zu tun hatte – einen Karton mit Schallplatten beispielsweise oder ein Bild –, erwartete er ihre Vorwürfe von Entartung und dadaistischem Erbe. Doch meistens blieb sie ruhig und konnte erscheinen, als kriegte sie von seinen Aktionen nichts mit.
    Willem war sich sicher, daß ihre erstaunliche Gelassenheit eng verbunden war mit dem großen Zeitungsbericht, und als er mit Barbara bei Hector Luna saß, sprach er das Thema an. Er nannte den Bericht eine grandiose Verzerrung der Vergangenheit und einen wunderbaren Zaubertrick, bei dem die wahren Eigenschaften seiner Mutter hokuspokus verwandelt würden in ergreifende Menschlichkeit. Noch die letzten Spuren möglicher Zweifel seien nun schwarz auf weiß widerlegt, und ihre Wahrheit stünde nun wie ein Gesetz in die Welt geschlagen. Das, meinte Willem, mache sie glücklich.
    Auch wenn es aus seiner Sicht eine seltsame Art von Glück sei, glaube er doch, daß es ein Zustand sei, der seine Mutter zugänglich mache. Und so beschlossen sie, die festgefahrenen Gespräche zur Einstellung neuer Mitarbeiter wiederaufzunehmen. Man müsse eine gute Gelegenheit abwarten, meinte Willem, oder noch besser, solch eine Gelegenheit selbst erschaffen; dieses seltsame Glück einfangen und auf die eigenen Ziele ausrichten. Wobei klar war, daß nicht er, sondern Barbara das tun würde.
    Die Tage darauf hatte Willem ein paar expressionistische Bilder aufgehängt; er hatte einen Plattenspieler und Boxen aufgestellt, und obwohl er Hector Luna nie etwas davon gesagt hatte, war der Mexikaner plötzlich im Spitzgiebel erschienen, hatte in seiner reservierten Art zum neuen Büro gratuliert und einen schönen Kandelaberkaktus übergeben. Willem war gerührt, und gemeinsam suchten sie nach einem Platz, wo der Kaktus sich wohl fühlen konnte.
    Das Telefon klingelte, während er beobachtete, wie die Vormittagssonne eine Landschaft von Jawlensky erreichte. Noch aus dem Druck schienen die Farben mit Kraft zu leuchten, und er ahnte, wie der Lichtstrom den ganzen Spitzgiebel erfaßte.
    Hallo, sagte er.
    Mit wem spreche ich?
    Er erkannte die hochgestochene Stimme auf Anhieb, und auch die Erinnerungen waren auf Anhieb da: die Verwirbelungen, die aus ihrem kupferblonden Haar mühelos in seine Tiefen geschlagen waren, ihre ganze Anziehung, die er noch hinter Abscheu und Boshaftigkeit verspürt hatte.
    Ich bins, Patrizia. Was kann ich für dich tun.
    Sie räusperte sich, und Willem ahnte, daß sie sich nur ungern von ihm duzen ließ.
    Es geht um die Yacht. Explizit die Amphitrite.

Weitere Kostenlose Bücher