Kronhardt
einfingen.
Für alle, die nicht geladen waren, muÃte Patrizia von Katteneschs Leben etwas gewesen sein, das jenseits ihrer FaÃbarkeit lag, und noch die maÃgeschneiderten Anzüge, noch die Visagistenkunst hinterm Schleierstoff und der Zug der Limousinen erschufen eine Welt, in der aus profanem Alltag heraus dieser Tod wie eine Auslese erschien.
Willem und Barbara standen an der Peripherie; auch die Kommissare waren da, und mit dem Trauerflor am Ãrmel und ihrer unverfänglichen Art wirkten sie wie Komparsen in einem monumentalen Stück. Doch in Wirklichkeit belauerten sie alles und jeden, und Willem war erstaunt, wie unauffällig sie mit Walkie-talkie und Feldstecher umgingen. Später, als sich die Reihen zur Kondolenz formierten, schlenderten sie mit den Händen hinterm Rücken bis an Willems Seite. Sie nickten Barbara zu, und zu Willem sagten sie, er sei durchs Raster gefallen.
Ich stehe nicht mehr unter Verdacht?
Nein.
Und ich kann nichts dagegen tun?
Warten Sie einfach ab. Ruckzuck werden neue Gesetze erschaffen, und schon wird auch das Raster nachgestrafft.
Das heiÃt, aus Sicht des Gesetzes kommen solche Anschläge gerade recht. Und wo ich mich heute im legalen Raum bewege, bleibe ich morgen im Raster hängen.
Die Kommissare sagten nichts dazu, verneigten sich vor dem offenen Grab und hielten dann auf den vorderen Friedhofsteil zu. Der Fahrer war bereits beerdigt worden, und Willem sah, wie sie sich auch vor seinem Grab verneigten.
Als Willem am Grubenrand stand, war der Sarg nicht mehr zu sehen. Patrizia schien rote Gladiolen und weiÃen Flieder gemocht zu haben, und Willem fand es seltsam, daà diese Leute zu jeder Jahreszeit alles parat haben konnten.
Dann sah er Patrizia aus der Tiefe der Blüten bis vor sein inneres Auge aufsteigen; er spürte, wie die Bilder friedlich in ihm verwirbelten.
Erst als er Ferdinand Lasalle kondolierte, kamen ihm die Tränen. Es war eine kurze Begegnung, in der sich für Willem das unglaubliche Dasein offenbarte. Wie sie beide auf dem Gipfel der Zeit standen, beide mit ihrer Vergangenheit.
Zu Hause trank er Whisky, hörte Schostakowitsch und stellte sich die Auflösung einer wunderbaren und einzigartigen Ordnung vor. Chaos, in dem alle Bündelung zum Ich zerstreute; Materie, freigesetzt für Neuorganisation.
Noch einmal spürte er die kupferblonden Verwirbelungen; sanfte Schönheit, eine rotierende Spiralgalaxis. Er weinte, er lächelte, und die Verwirbelungen in seinem Herzen schienen nun gröÃer als der Tod; eine Perle, die einen Ozean beruhigt.
Einige Zeit nach Patrizias Beerdigung saà Barbara im Büro ihrer Schwiegermutter.
Daà du Willem für ihren Tod verantwortlich machst, ist nicht schön.
Und die Alte lachte laut dagegen. Soll ich mich für die Wahrheit schämen?
Du solltest dich schämen, ja.
Für ihn, ja!
Was tust du deinem Sohn an?
Ich? Ihm? Und sie lachte wieder.
Du bist seine Mutter.
Ich habe ihm sein Leben geschenkt. Ich habe ihm alles gegeben, damit er daraus etwas macht. Und wie dankt er es mir? Dann nahm sie Barbaras Hand. Mal ehrlich, Kindchen: Ohne dich wäre er doch längst zu einem dieser langhaarigen Elternmörder verkommen.
Was glaubst du, wie er sich fühlt, wenn er das hört?
Und ich? Wie eine Mutter sich fühlt, wenn das Kind auf alle Liebesmühe spuckt.
Du bist ungerecht.
Schickt er dich vor, um mir das zu sagen?
Das hat er nicht nötig. AuÃerdem hat er ein viel zu groÃes Herz.
Und die Alte lachte erneut.
Als Barbara sich ans Fenster stellte, sprang die Alte plötzlich auf. Deine elende Sucht, rief sie. Ein biÃchen Mundspray oder eine Pastille danach wären das mindeste. Doch was! Barbara stoÃe ihren verrauchten Atem, als ob sie alle Wahrheit dahinter verschleiern könne. Und dazu diese verdammten Strategiepapiere, rief sie. Hier eine Zukunftstechnologie, da eine Vision vom globalen Markt; hier neue Mitarbeiter, da eine Vernetzung verborgener Zusammenhänge â Hokuspokus. Oh, wie sie dieses Parvenügeschwätz satt hätte! Und wie Barbara damit die Realität verschleiere â alles, um der Welt vorzumachen, was für eine grandiose Frau sie sei; alles eine grandiose Lüge gegen die Welt und gegen sich selber. Nichtwahr, wenn Barbara ihre Energien in solche Trugbilder investiere, müsse der Blick für die Realität ja abhanden kommen.
Von Boom keine Spur, bellte die Alte. Statt dessen
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