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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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sich die Haare; was für eine Verkettung, meinte er, und als sie abends bei Hector Luna saßen, gelang es ihm nicht, die Sichtweisen der anderen einzunehmen. Er kam sich vor wie ein Glied in dieser schicksalhaften Verkettung – eine brutale Vernichtung, meinte er, die jenseits seiner Vorstellung vom Menschsein läge, und er weinte. Barbara brachte ihn bald nach Hause.
    Sein Kopf lag in ihrem Schoß.
    Man kann nichts machen gegen solche Fährnisse, sagte sie.
    Patrizia wollte schon gestern kommen. Um halb drei. Ich hätte sie kommen lassen können.
    Und dann wäre sie von einem herabfallenden Ziegel erschlagen worden.
    Meinst du?
    Es geht darum, daß du dir nichts vorzuwerfen hast.
    Ich weiß es nicht, Barbara.
    Wann hattest du gestern Feierabend?
    Gegen halb eins.
    Und was hast du dann gemacht?
    Ich habe gegessen. Ich war im Buchladen, und später habe ich auf dem Sofa einen Bericht über den Georgischen Schädel gelesen.
    Hast du gut gegessen?
    Ja.
    Und auf dem Sofa hast du dich wohl gefühlt?
    Ja.
    Barbara drückte ihn. Du hast dir nichts vorzuwerfen. Es ist so ähnlich wie damals, als mein Vater und ich beinah von dem Steinbock erschlagen worden wären. Mein Vater hatte alles gut gemacht, und wenn der Steinbock uns tatsächlich erschlagen hätte, hätte das nichts daran geändert. Man kann nichts machen gegen solche Fährnisse.
    Willem war überrascht, als einige Tage später die Polizei im Spitzgiebel erschien. Die Männer trugen Zivil und gaben sich unverfänglich und freundlich. Doch Willem ahnte, wie das ganze Spektrum menschlicher Abgründe und Winkelzüge sie durchsickert hatte und wie sie ihn so belauerten.
    Yachtwäsche also? fragten die Kommissare. Und die Frau von Kattenesch-Lasalle sei doch eine alte Schulkameradin? Und ob da mal was gewesen wäre zwischen ihr und Willem? Und unvermittelt machten die Kommissare einen Schwenk, holten plötzlich Gisela und den Feldwebelmord hervor, rückten Willem in Giselas Dunstkreis, und sie wußten auch, wann er über den Transit gefahren war.
    Willems Antworten waren unverwässert und höflich; und es gefiel ihm nicht, wie der Apparat, den die Kommissare verkörperten, ständig Informationen beschaffte, sammelte und mehr noch: ihn geisterhaft durchleuchtete. Und er gab ganz offen zu verstehen, daß er von den Kommissaren nichts zu befürchten hatte. Im übrigen, meinte er, seien die Herren nicht die ersten, die versuchten, etwas aus ihm herauszuholen, was er nicht erbringen könne. Und auch wenn er jünger sei als sie, habe er durchaus ein Quantum an Lebenserfahrung vorzuweisen; vor allem aber wisse er, wie man sich den Blick freihielte gegen die fanatischen Überzeugungen der anderen. Egal, ob sie für den Staat agierten oder aus dem Untergrund heraus. Und wer hinter dem Ahab-Kommando stecke, wisse er nicht.
    Für die Mutter war klar, daß Willem den roten Teufeln Schützenhilfe geleistet hatte. Aus seiner Gammlermentalität und dem debilen Erscheinungsbild heraus, meinte sie, treibe er seit jeher einen Keil nicht nur in die Tugend der eigenen Familie, sondern in deutsche Grundfesten an sich, und daß ihm früher oder später die Polizei im Nacken sitzen würde, sei zwangsläufig. Und schlimmer, von Kattenesch-Lasalle würde noch leben, wenn Willem bei aller Ehrlosigkeit wenigstens ein bißchen Disziplin gezeigt und sie zu dem Zeitpunkt empfangen hätte, den sie gewünscht habe.
    Nun, sagte sie, es ist, wie es ist. Und daß sie alle Hoffnung auf ihn aufgegeben habe. Und auch, daß er fortan mit von Kattenesch-Lasalle verbunden bleibe; doch wie er mit dieser Bürde leben wolle, sei nicht ihre Sache. Immerhin sei der Bankdirektor – wohlgemerkt, bei aller Verbitterung – zuletzt doch geneigt, die aus Vertrauen und Verläßlichkeit gewachsene Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten.
    Willem saß da und betrachtete seine Mutter mit einer seltsam milden Neugier. Barbara war beeindruckt von seiner Ruhe, und sie drückte seine Hand.
    Die Beisetzung in der Familiengruft war ein groß geladener Akt, das hatte sich die Silberdynastie nicht nehmen lassen. Mit Reden aus dem Pantheon und einer durchdringenden Weltanschauung, die alle Mittel gegen die Staatsfeinde legalisierte; mit Waldhörnern und Salutschüssen und hinter der abgeriegelten Zone mit den Teleobjektiven der Boulevardpresse, die noch die Tränen der Kinder

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