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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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zöge eine neue Bomberstaffel darüber hinweg. Oder nicht? Das neue Jahrzehnt offenbare bisher unbekannte Rasanz und Dynamik, alles werde schneller, internationaler, komplexer. Neue Strukturen, Märkte und Technologien, die in immer kürzeren Intervallen nach Anpassung verlangten. Zeiten, in denen sich auch jener Bombeninstinkt der Alten neu anpassen müsse. Die Welt steuere zu auf eine neue Revolution; die Schaltkreise zur inneren Logik des Computers verkleinerten sich mit enormer Rasanz und lieferten ebenso eine Potenzierung der Leistungsfähigkeit; bald würden heutige Großrechner das Format eines Koffers haben, bald würden Firmen sich über Minicomputer vernetzen und Kartelle bilden, und irgendwann müsse sich auch das Denken an eine neu gestaltete Welt anpassen – eine Fähigkeit, die jeder neuen Generation besser gelinge als einer alten, und so, meinte Barbara, sei ganz klar, daß sie auf den Mikrochip setzen müßten. Der Mikrochip würde sie unabhängig machen, sie könnten die Maschinen selber programmieren und hätten nicht mehr diesen ganzen Rattenschwanz der Lochbandproduzenten. Es sei jetzt Zeit, die neue Epoche anzugehen, damit sie in Zukunft nicht hinterherhinkten. Jetzt müsse investigiert und investiert werden. Es sei jetzt ebenfalls die Zeit, sich Gedanken über neue Mitarbeiter zu machen und die gewünschten Profile gemeinsam zuzuspitzen. Verdammt, sagte Barbara. Und nicht immer diese nostalgischen Blockaden.
    Die Alte blieb erstaunlich ruhig. Aus ihrem spaltigen Mund brach ein Lächeln, sie nahm schließlich Barbaras Hand und sagte, laß uns noch etwas warten, mein Kind.

36
    Ein halbes Jahr später gingen Barbara und Inéz auf Geschäftsreise. Zu Beginn waren ein paar Abstecher geplant, zum alten Roderick und zu einer Handvoll Webereien in Irland und Italien, und zuletzt der Besuch einer internationalen Messe in Athen.
    Willem begleitete sie zum Flughafen, und als sie dann noch in der kleinen Bar saßen, mit Blick auf die Startbahn, kamen sie nicht an der IRA oder den Roten Brigaden vorbei. Auch Camorra oder N’drangheta, meinten sie; und Griechenland wäre eine so junge Republik, daß man die Netzwerke der alten Diktatur ebenso voraussetzen müsse wie moskautreue Fanatiker.
    So entwickelten sie einen Realismus, während draußen eine SAS -Maschine Richtung Stockholm abhob. Und sie waren einig, daß vor allem jener Anschlag in ihrer unmittelbaren Nähe ihre Gedanken in diese Richtung schärfte. Was aber nicht hieß, daß mit dem bloßen Gedanken daran automatisch die Wahrscheinlichkeit stieg, zum zufälligen Opfer zu werden. Ebenso hielten sie es für unwahrscheinlich, daß irgendein Kommando nur deshalb zuschlug, weil man ausgerechnet heute in Florenz war oder morgen in Athen. Wenn man so dachte, meinten sie, war jedes Naseputzen, war jeder Handgriff gefährlich, und noch wenn man sich in eine Höhle verkroch, blieb man vor den Konsequenzen solcher Gedanken nicht sicher. Wo immer man sich befinde, egal, ob in Aktion oder Stillstand, niemals, meinten sie, wisse man genug über die Anfangsbedingungen, und so könne jeder Pilot ein verkappter Terrorist oder einfach nur lebensmüde sein, und eine Höhle könne von einem Erdbeben zerrissen werden; ebenso könne man selber durch eine Alltäglichkeit die Entwicklung hin zu einer Katastrophe in Gang setzen, woraus sie zuletzt den Schluß zogen, daß man nichts gegen solche Fährnisse machen konnte.
    So hatten sie noch in der kleinen Flughafenbar gesessen, und während die Abfertigung bereits über Lautsprecher ausgerufen wurde, hatte Willem sein Glas erhoben und gemeint, daß den Frauen gar nichts anderes übrigbliebe: Sie müßten jederzeit so handeln, als wäre es eine letzte Tat. Ganz im Sinne von Barbaras Vater, und als die Frauen dann auf die Abfertigungsschleuse zuhielten, kehrte Barbara noch einmal um und küßte ihn.
    Er stand auf der Aussichtsplattform und winkte, während die Maschine gegen den Himmel donnerte.
    Am Morgen vor ihrer Rückkehr klaffte ein Hochdruckgebiet auseinander, und am Vormittag verblieb über Nord- und Ostsee eine Art Vakuum, das zum Mittag hin ein mächtiges Biskayatief ansaugte.
    Willem trug einen Seemannspullover unter dem Jackett, und sein Schal flatterte auf der Aussicht. Die Windsäcke standen stramm, zwei Anflüge waren bereits abgesagt. Die Maschine aus Athen jedoch

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