Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
Fähigkeiten der Frauen. Wo andere nur einen wohlverdienten Ausspann sehen mochten, womöglich noch einen Streifzug durch den Schoß des Abendlandes, um die eigene Leistung zu betten in die Leistungsgeschichte der Menschheit; wo andere nur das Schlendern unter der Sonne von Attika sehen mochten, womöglich einen Baedeker zur Hand, um Wissenswertes zur dorischen, ionischen oder korinthischen Säulenordnung nachzulesen oder Basis, Kanneluren und Kapitell im Original zu erfassen, konnte Willem erkennen, wie die Frauen jederzeit in der Lage waren, sich so anzupassen, daß die Ausrichtung auf ihr Ziel optimal blieb. Und so begegneten sie auf der Akropolis einem Griechen und verknüpften mühelos eine harmlose Plauderei mit handfestem Geschäft.
    Sicher, diese Begegnung war nicht frei von zufälligen Elementen, doch Willem unterstellte den Frauen eine gewisse Anziehung, eine Fähigkeit zu gestaltgebender Kraft, und aus dieser Sicht entwickelte er seine inneren Bilder.
    So konnte er Barbara sehen, mit Sonnenbrille und einem Tuch im Haar; eine Strähne, womöglich vom warmen Wind erfaßt, und Eidechsen, die im gleißenden Marmorlicht weghuschten. Konnte sehen, wie sie im Schatten eines Architraven stand, eine Zigarette zwischen den Lippen nach Feuer suchte, und wie dann – zufällig oder nicht – der Grieche auftauchte. Wie sie die Flamme aus seiner Hand nahm, wie die Blicke sich trafen und man beim Rauch ins Plaudern kam. Ein bißchen Athena, Parthenon oder Propyläen, ein bißchen Wetter oder Weltpolitik, und so saßen sie zu dritt im Schatten des Architraven. Spürten die Wucht menschlicher Geschichte, spürten die Bündelung im Hier und Jetzt, und der Grieche fühlte sich wohl zwischen den Frauen und war ein offener Mensch. Er hatte in Zeiten der Diktatur als Decksjunge angefangen, und sein erster Dampfer hieß Uranos. Auf dem Meer hatte er auf Anhieb eine Freiheit verspürt und sich bald wie ein Bruder des aus Himmel und Erde geborenen Ozeans gefühlt. Und so hatte er sich zum Matrosen hochgearbeitet, zum Steuermann, und hatte zuletzt sein Kapitänspatent erworben. Er war nur selten von Bord gegangen; er hatte Angst, die Freiheit in sich zu verlieren, und an Land beschnitt Papadopoulos alle Weite.
    Als sich die Gerüchte über den Sturz des Diktators jedoch verdichteten, lief er in Piräus ein. Er besuchte die Kafenions am Hafen, diskutierte die demokratischen Ideen, zitierte die Sokratiker, zitierte Perikles, und er pilgerte an den Ort, an dem einst Epikurs Garten gelegen hatte. Dann bekam er Mein Leben und Werk von Henry Ford in die Hände, und als Papadopoulos tatsächlich gestürzt und schließlich verhaftet wurde, kaufte er ein halbwegs flottes Fährschiff und machte sich selbständig. Er taufte es Gaia, nach der Mutter des Ozeans, und verkehrte zwischen den Inseln. Das Vertrauen, das er aus dem Meer herausziehen konnte, blieb verläßlich, und er traf stets die richtigen Entscheidungen. Bald durchzog er mit zwei Fährschiffen die Kykladen, bald war er Eigner einer festen Flotte. Er hatte Visionen, keine Frage. Seemännische Visionen, wie sie sich aus dem Blick in die Ferne enthüllten; aber auch jene Visionen, die neuerdings über den Tischen der Kafenions entstanden: einfallende Touristen wie an Gardasee oder Adria, und inzwischen war der Kykladenreeder dabei, sich ein Monopol aufzubauen. Er konnte etwas anfangen mit Emblem, mit Banner und Identifikation, und als er mit Barbara und Inéz im Schatten des Architraven plauderte, ergab sich der Auftrag an die Maschinenstickerei schließlich wie von selbst.
    So entwickelte Willem aus den Worten der Frauen heraus seine Vorstellungen. Die Artischockenherzen und der Fisch schmeckten ausgezeichnet, der Wein war eine Spezialreserva, und zum Dessert brachte Hector Luna gebratene Bananen in einer Schokoladen-Rum-Soße.
    Sie verließen die Restaurant-Bar, als die obligaten Besucher aus dem nahe gelegenen Theater einfielen.
    Der Sturm hatte sich gelegt, der milchige Himmel war aufgeklart, und aus der Nacht brannten die Sterne. Straßenbahnen zogen unter dem Mond, und manchmal brachte das Silberlicht Auskehlungen auf die Hauswände wie auf einer Marmorsäule. Sie zogen vorbei an der alten Osterwache, am Atelier eines Bildhauers, und vor der Kunsthalle querten sie abwärts zu den Wallanlagen. Von den Gräben stieg Geflatter, und die Parkbäume waren alt und hatten

Weitere Kostenlose Bücher