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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Explosion und Desaster an allen Ecken und Enden. Da würden auch keine aufgedonnerten Prognosen mehr helfen, und die Wirklichkeit sehe so aus, daß es nie eine Zeit geben würde, in der Barbaras hochtrabende Pläne funktionieren könnten. Nie, nie, nie, und Neubau und Umstrukturierung seien von Anfang an falsch gewesen, ganz gleich, was ein Bankdirektor oder Meyer-Lansky dazu gesagt hätten. Vielmehr sei jetzt klar, daß Barbara zuletzt noch diese anständigen Männer übertölpelt habe – nichtwahr: wie sie es mit ihrem feinen Händchen bei der Toilette verstanden habe, den männlichen Erwartungen zu entsprechen. Pfui! Und so stand die Alte über Barbara.
    Der Rauch wurde von der kühlen Luft angesaugt und stieg gebündelt gegen einen weißen Himmel. Barbara blieb am Fenster, stumm, mit fernem Blick, und als sie die Zigarette ausgedrückt hatte, zündete sie eine neue an. Willem, sagte sie dann. Er macht sich Sorgen um dich.
    Willem?
    Dein Sohn.
    Sorgen! Die Alte lachte. Als ob ihr davon wüßtet. Ihr habt alles, und von allem zuviel. Aber niemals Sorgen.
    Barbara zog die Stirn in Falten.
    Und die Alte bullerte weiter. Ich kenne andere Zeiten. Und da habe ich Menschen gesehen, die mit zuviel nicht umgehen konnten: zu viele Bomben, zu viele Tote und zuviel Hunger haben sie untauglich gemacht für die Volksgemeinschaft, und Gnade, mein Kind, konnte sich damals niemand leisten.
    Was glaubten die jungen Menschen heutzutage eigentlich? Daß so ein bißchen Tempo in der Volkswirtschaft, daß neue Technologie oder Informationsverarbeitung die Alten beeindrucke? Daß eine Telefonleitung nach Amerika oder sonstwo genüge, um die Alten auf der Strecke zu lassen? Mein liebes Kind! Wer damals nicht auf der Strecke geblieben ist, dem kann das bißchen Fortschritt heutzutage nichts anhaben. Wenn damals eine Fliegerstaffel auftauchte, verdichteten sich Tempo und Technologie mit so brutaler Rasanz, wie es heute nicht mehr vorstellbar ist. Heute, wo sie für alles erst ein Strategiepapier entwerfen müssen!
    Barbara hatte das Fenster geschlossen. Sie saß der Alten jetzt gegenüber und sprach ihr Mitgefühl aus. Jene ungeheuerlichen Zeiten, meinte sie, in denen aber auch nichts mehr habe erschüttern können. In denen noch die grundlegendsten Fähigkeiten auf der Strecke geblieben wären, beispielsweise Einfühlungsvermögen oder Anteilnahme, und sie sei tief davon überzeugt, daß es für die Menschlichkeit an sich nötig sei, erschütterbar zu bleiben. Wenn man verhärte, meinte sie, werde man untauglich für die steten Anforderungen des Lebens, und es sei eine Sache, die richtige Entscheidung zu treffen, wenn plötzlich Bomben vom Himmel fielen. Eine andere Sache aber sei es, die Dimensionen einer neuen Zeit zu begreifen und erfolgreich umzusetzen, und Barbara glaube, daß so etwas nur generationenübergreifend funktionieren könne.
    Und bei allem Respekt gegenüber den Erfahrungen der Alten halte sie es für eine gemeinsame Zukunft unabdingbar, daß einerseits die Jungen die ungeheuerliche Vergangenheit der Alten nicht ignorieren dürften, sie andererseits aber ein Recht darauf hätten, sich den Anforderungen ihrer eigenen Gegenwart genauso zu stellen wie seinerzeit die Alten. Und sie sei ein Kind dieser Gegenwart, sagte sie. Sie könne in die neuen Dimensionen hochschalten und sei jederzeit bereit, notwendige Entscheidungen zu treffen. Sie sei reingewachsen in die Zeiten, so daß sie nicht erst Erstarrtes mühsam aufbrechen und erschütterbares Gespür wieder entwickeln müsse.
    Die Alte hockte da, starrte.
    Und mal abgesehen von der Bombentechnologie der Nazizeit. Da wären die Alten doch noch geprägt von vergleichbar langsamen Jahrzehnten. Vom Pantographen zum elektronischen Antrieb bis zur Mehrkopf mit Lochbandsteuerung – meine Güte, das sei ein Prozeß gewesen, der sich über Generationen hingezogen habe. Das sei eine Geradlinigkeit gewesen mit sehr moderatem Tempo. Da hätten die Maschinen noch ihr immer gleiches Stakkato gespuckt in einem immer gleichen Rhythmus der Jahrestage. Da habe noch alles unter einem Dach gesteckt, eine eingefleischte Atmosphäre mit Stickmeister, Arbeiterinnen und Kundschaft; vertraute Wege, vertraute Gerüche, die Rolladenschränke, die schmalen Gänge zwischen den Maschinen, eine verkapselte Nostalgie.
    Die nun mit einem Mal aufreiße, als

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