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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Mond und Sterne im Geäst; eine wunderbare Stille, ein Bild wie ewiges Jetzt, und hinter der ersten Brücke säumten alte Bürgerhäuser eine schmale Allee. Dort verabschiedeten sie sich, Inéz winkte noch einmal aus einem Ligusterbogen, und bald stieg sie im gedämpften Licht aufwärts, bald stieg gedämpftes Licht aus ihrer Wohnung.
    Barbara lag bereits im Bett, und im Faltenwurf der Laken erschien ihm ihr Körper wie aus der Antike herausgeschnitten; die helle Haut, das ausgegossene Haar, und im Schummerlicht lösten Raum und Zeit sich auf. Er schlüpfte zu ihr, bald spürten sie den gemeinsamen Atem, ein Gefühl, flüsterte er in ihr Ohr, wie eine Perlenschnur in die Seele, und sie ließ sich von ihm halten, ließ aus dieser Kraft Ideen bis ins Leben durchdringen.
    Wenn Barbara Entwicklungsmöglichkeiten voraussehen konnte, mußte sie es auch verstehen, aus einem Geflecht von Beziehungen jederzeit die Fäden herauszulösen, die in Zukunft einen Strang bilden konnten.
    Schon wenige Tage später brachte Willem sie erneut zum Flughafen. Roderick hatte demnächst Geburtstag; sein Sohn würde zum Tee aus der Elementarteilchenphysik vorbeischauen, und zum Sonnenuntergang würden alte Freunde aus den Kolonialzeiten anklopfen, diskrete Männer, wie Roderick gesagt hatte, aus denen der Whisky eine verschollene Welt hervorbringen konnte.
    Sie tranken einen Espresso in der kleinen Flughafenbar, und als die Maschine abhob, winkte Willem von der Aussicht.
    Er ließ das Taxi in Marktplatznähe halten; Tauben zuckelten, und der Roland lächelte milde im Frühlingslicht. Er ging in die Buchhandlung, die Verkäuferin begrüßte ihn mit Namen und holte die vorbestellte Fachzeitschrift. Am Regal mit der Philosophie stand eine Frau, und Willem überlegte, ob die Literatur, für die eine Frau sich interessierte, ihre Anziehungskraft steigern konnte. Als er wieder in den Straßen war, entschied er, noch einen Kaffee zu trinken.
    Auf dem Marktplatz wurde bereits draußen serviert. Der Kellner war klassisch gekleidet, das Gedeck kam auf einem silbernen Tablett.
    Willem hatte gehofft, Neuigkeiten über den Georgischen Schädel zu erfahren. Doch es gab nichts Neues; die von den Russen aufgestellten Eckdaten schienen nicht in Frage gestellt, der Schädel blieb 1,75 Millionen Jahre alt und gehörte weiter zu einer Art, die Afrika erst vor einer Million Jahre verlassen hatte, und niemand konnte das Loch von 750   000 Jahren in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit erklären. Beziehungsweise, mußte Willem lesen, war es den westlichen Wissenschaftlern gar nicht erst gelungen, andere und somit neue Informationen zu erhalten. Und schlimmer, der erhoffte Kontakt zu den sowjetischen Kollegen schien nicht zustande zu kommen, und womöglich sollte der Schädel streng verschlossen hinterm Eisernen Vorhang gehalten werden. Was die Neugier natürlich um so mehr befeuerte.
    Dann las er einen Bericht über die Voyager-Sonden. Sie hatten Jupiter passiert, und einige der Bilder, die sie zur Erde gefunkt hatten, waren abgebildet.
    Später zog Willem durch die aufgewärmte Stadt und verspürte die heitere Frühlingsstimmung. Alles schien leicht und in frischen Farben; rings die Menschen zogen ohne Eile dahin, ein Mann im Krankenstuhl pfiff eine lustige Melodie, während seine Arme den großen Wagen über ein Gestänge wie ein Boxer antrieben. Als Willem in die Wallanlagen kam, leuchteten Osterglocken und Tulpen, und der Staub der Weidenkätzchen überzog die Hummeln; er entdeckte einen Star, bronzegrün unter der Sonne, und im Gleitflug sah er die weißen Tupfen. Gleich im ersten Blumengeschäft fand er rote Gladiolen. Er kaufte einen großen Strauß und zog weiter gegen den Rembertikreisel. Bei der Ampel, wo Patrizia erschossen worden war, hatten die Familien ein Kreuz auf einem Grünstreifen errichtet. Um das Kreuz herum lagen bereits Blumen, und Willem legte die Gladiolen dazu.

37
    Zum Äquinoktium eröffneten die Frauen ihr Geschäft. Barbaras Name an der Fassade leuchtete unaufdringlich und weinrot, der Zug war einprägsam. Willem war damit groß geworden, den eigenen Namen in der Öffentlichkeit zu sehen; das weinrote Leuchten war etwas, was nichts mit ihren persönlichen Angelegenheiten zu tun hatte.
    Innen hatte Barbara eine Wendeltreppe einbauen lassen, eine Verbindung vom Verkaufsraum hoch in ihr neues

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