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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Stil und Geist, und die Damen gaben ganz offen zu, daß sich ihre Neigung zu Dressur und Englisch-Querfeldein bereits zum Drang verfestigt hatte und alles Denken und Fühlen bestimmte. Sie nannten die Umwandlung von Wildheit in vom Menschen gelenkte Anmut einen Kulturgipfel, und im Einklang mit ihrer Passion verwirklichten die Damen ihr Selbstbild durch eine Haltung, die alles von der Stange ablehnte. Sie waren von ihrem Wert überzeugt und markierten den eigenen Gipfel mit einer Erlesenheit, die jede immaterielle Verfeinerung lächerlich machte. Und aus diesem Grunde saßen sie hier und waren sicher, daß ihre Erwartungen erfüllt werden würden.
    Barbara und Inéz blieben angesichts dieser Etikette gelassen. Sie ließen von Anfang an keinen Zweifel daran, daß sie die Persönlichkeiten der Damen respektierten und ebensolchen Respekt voraussetzten. Sie pflegten einen sicheren Umgang, ließen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten durchschimmern, hielten Distanz und waren zugleich offen für die in der Materie steckenden Vertraulichkeiten.
    Doch als dann Willem unverhofft im Geschäft erschien, wechselten Barbara und Inéz einen schnellen Blick; die Situation war plötzlich unberechenbar geworden.
    Und tatsächlich huschte bereits ein Lächeln über Willems Gesicht, er sah die Damen im englischen Leder sitzen, und Barbara ahnte, wie er die überzüchtete Atmosphäre wahrnahm. Doch sie verbarg all ihren aufblitzenden Scharfsinn hinter einer bezaubernden Art, küßte ihn und stellte ihn den Damen vor.
    Karin war erfreut, Veronika von Zerbst ließ sich die Hand küssen und befriedigte ganz selbstverständlich ihre Neugier, indem sie Willem musterte und zugab, bereits von ihm gehört zu haben. Auch die beiden anderen ließen sich die Hand küssen.
    Danach verbeugte Willem sich, bat darum, die Störung zu verzeihen, und entfaltete vor den Damen mit wenigen Worten eine Höflichkeit, die nicht nur schmeichelte, sondern Lust machte auf mehr Schmeicheleien. Und obwohl Barbara ihn bereits untergehakt hatte, wollten ihn die Damen noch nicht gehen lassen. Sie verwickelten ihn in ein Gespräch, sie boten Kaffee und Gebäck, und bald saß er in der Runde und fand mühelos Zugang zu ihren Themen. Vom Wildtier zur menschlichen gelenkten Anmut, sagte er; er veredelte Dressur und Englisch-Querfeldein, er sprang auf die antiken Höhen einer kentaurischen Lebenshaltung und wußte Anekdoten zu den Höhlenmalereien im franko-kantabrischen Kernland, die ganz wunderbares Gelächter hervorbrachten. Er erzählte davon, wie er Karin kennengelernt hatte, und in seinen Worten verwandelte sich die Kellerbar von damals zum lichten Saal, in dem sich alle vor der Olympionikin verneigten und aus dem heraus Karins Gold noch das ganze Land erhellte.
    Später ergab es sich von selbst, und Willem stand mit den Damen am Holztresen, während Barbara die Ballen ausrollte und Inéz mit dem Kohlestift passende Phantasien entwickelte. Und wie von selbst ließ er die Stoffe durch seine Finger gleiten, brachte das Knistern in die Ohren der Damen, zeigte ihnen die Effekte gegen das Licht und zog sie in den Zauber. Persien, sagte er, Belutschistan oder China, und seit einem halben Jahrtausend werden diese Stoffe unverändert von Hand gefertigt, eine gewachsene Qualität vom Samenkorn bis zum Webstuhl und jeder Zentimeter einzigartig. Kommen Sie, rief er. Spüren Sie den Zauber, lassen Sie ihn auf Ihre Haut.
    Tatsächlich ließen sich die Reiterinnen hinreißen; Barbara drapierte bald einen Überfluß, und Inéz steigerte das Begehren mit immer neuen Entwürfen. Die Frauen betrachteten den Stoff über die Puppen geworfen, sie drehten sich vor dem Spiegel und sahen die Wirkung unterschiedlicher Lichteinfälle. Bald arbeitete Barbara mit Schere und Meterband, die Spanierin war in Reiterstellung, und ihre Hände erfaßten die weiblichen Konturen.
    Als Willem sich verabschiedete, hielten die Frauen ihm eine Wange hin.
    Zuletzt stand er neben Karin, und womöglich waren es wieder seine rhetorischen Fähigkeiten und das unverfängliche Lächeln zwischen den Worten. Sie schnalzte leise, als er ihre Wange berührte, und er spürte den Ansporn ihrer Schenkel, und dann, als hätte Veränderung nie stattgefunden, spürte er die Vergangenheit. Eine Wiederauferstehung einst vertrauter Gerüche und Formen, und noch ihre Leberflecke konnte er

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