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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Verstehen Sie, Politik ist ein Apparat, der einen vollständig einverleibt. Sogar wenn man glaubt, noch empfinden zu können, ist das bloß eine Vortäuschung des Apparats. Und auch das eigenständige Denken ist ausgemerzt.
    Willem macht einen Schritt auf den Mann zu: Schauen Sie mich an. Als das hier noch ein linker Laden war, bin ich ständig hiergewesen. Frederike, Jan-Carl oder Achim-das-Tier. APO und RAF , wir haben alle für die Sache gekämpft damals, und ich glaubte ernsthaft, den Apparat von innen aushöhlen zu können und Raum zu schaffen für unsere Ideen vom neuen Menschen. Ich war glühender Utopist, ich war besessen, willensstark und ein begnadeter Schauspieler. Und was hat es gebracht? Er lacht. Ich habe ein neues Naturgesetz kennengelernt: Je weiter einen der Apparat kommen läßt, desto mehr verliert man sich selbst. Und bald gibt es einen nur noch, weil man Gedärm ist vom Apparat.
    Der Mann sieht Willem an.
    Als ich gestern mit Nina gequatscht habe, saß ein Mann neben mir. Studiobraune Haut, Zopf und Zigarre. Wissen Sie, wie der heißt?
    Der Mann macht das Geräusch, und der Hund steht da.
    Als Willem die Tür schließt, steigt der Hund auf, und das Glas beschlägt. Von der anderen Straßenseite beobachtet er, wie der Mann mit Sprühflasche und Küchenrolle den Sabber abwischt. Dann krault er den Hund und greift nach dem Telefon.
    Im Vormittag scheint die Landschaft von Jawlensky nach innen gewölbt, das klare Tageslicht eingesaugt und zu mildem Rot verschoben. Der Schatten vom Kaktus verzerrt auf den Dielen, aus den Boxen kommt Barock.
    Willem hat die Schuhe ausgezogen und liegt auf dem Sofa. Vom Dom schlagen die Glocken, im Telefonbuch findet er keine Handvoll Burkes, und die Gespräche bringen ihn nicht weiter. Er ist unschlüssig. Setzt einen Espresso auf, geht ans Teleskop. Dann ist er wieder auf dem Sofa. Ruft Barbara an und kriegt auf Anhieb Vorwürfe zu hören, weil er sich auch nach der Party um nichts kümmert. Er hat noch ihr friedlich schlafendes Bild vor Augen, die Bettwärme auf seiner Haut, doch am Ende der Leitung scheint nichts mehr davon übrig. Barbara ist streitlustig, überhört all seine gutgemeinten Vorschläge – die ganze Launigkeit ihrer Tabakabstinenz, meint er schließlich, und dann legt sie einfach auf.
    Der Espresso ist stark.
    Willem dreht die Platte um und holt Burkes Umschlag vor. Er enthält vier Kopien. Zwei von den unzähligen Zeitungsartikeln aus jener Zeit und zwei Totenscheine.
    Der erste unterscheidet sich in nichts von dem, den er selber aufbewahrt. Unter dem Kopf vom Zentralkrankenhaus sind die Personalien seines Vaters eingetragen. Als Todesursache steht paradoxe Embolie. Datum: 7. Juli. Neben dem Stempel hat der damalige Direktor der Pathologie unterschrieben, Prof. Dr. Lobedanz.
    Den zweiten Totenschein hat er gestern Abend zum ersten Mal gesehen. Der Briefkopf ist abgeschnitten, und unten sind Stempel und Unterschrift unleserlich gemacht. Einzig ein Dr. Dr. schimmert noch durch. Die Personalien seines Vaters sind korrekt, auch der Todestag. Als Todesursache steht hier jedoch: toxisch.
    Er trinkt in kleinen Schlucken. Toxisch also.
    Doch zuletzt kann sich natürlich jeder Burke nennen, und wahrscheinlich ist auch das Frisieren von Totenscheinen ein Kinderspiel.
    So sitzt er und trinkt.
    Was denken sich diese Burke-Menschen? Und Willem stellt sich vor, daß ihre Gehirne längst isoliert arbeiten. Abgeschottet von aller Empathie, ohne Verbindung zu der Welt, die sie nährt.
    Willem schlägt den Kaffeesatz aus der italienischen Kanne, legt die vierte Seite der Electric Ladyland von Hendrix auf, gibt Lautstärke und schiebt im Mitarbeiterbüro eine alte Adressauskunft Deutschland ein. Er findet im Rheinland und im Oldenburgischen eine Burke-Konzentration. Warum Oldenburg? Und dann nur eine Handvoll in Bremen. Doch im Grunde bleibt es witzlos, und so geht er wieder hoch, holt sich einen Calvados und die Gelben Seiten.
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