Kronhardt
habe ich dieses Bild aber nie bezogen. Sex zwischen meinen Eltern bleibt mir bis heute ein unvorstellbares Gebiet.
Vielleicht haben sie es ja auch nur ein Mal gemacht. Vielleicht gehörte dieses eine Mal auch zum Plan.
Das bleiben Hypothesen, die uns nicht weiterbringen.
Oder es gehörte gerade umgekehrt zum Plan, daà die beiden niemals Sex haben würden.
Das ist doch Quatsch.
Man muà seine Prinzipien auch flexibel halten können. Ein paar Hypothesen in die Welt zu werfen kann durchaus richtungweisend sein, und die Ramows machen eine öffnende Geste. Vielleicht ist Ihr Vater gar nicht Ihr Vater. Vielleicht ist es von Wrangel. Oder Kronhardt.
Na klar.
Ein lumpiger Gentest würde reichen.
Ist ja gut.
Sie glauben nicht dran, was.
Nee.
Manche Fälle gehen tiefer und sind verzweigter, als man denkt.
Das will ich Ihnen glauben.
Also sind Ihre Eltern nach Zürich emigriert. Richteten sich dort ein, Ihr Vater entfaltete seine künstlerischen Fähigkeiten, wir unterstellen den beiden Sex, und später wurde Ihre Mutter schwanger. Und sonst â hatte Ihre Mutter Arbeit in Zürich?
Nicht daà ich wüÃte.
Also verdiente Ihr Vater ausreichend.
Soweit ich erinnere, hatte er kaum einen Sinn für Geld. Dennoch war immer etwas in seiner Börse. Er verdiente wohl genug mit seinen Bildern und mit dem, was er zusammen mit seinen Künstlerfreunden machte.
Vielleicht war aber auch Ihre Mutter die wahre Geldquelle. Ihre Familie.
Vielleicht kam was von da.
Sicher sind Sie aber nicht?
Willem hebt die Schultern. Sie hatte ein Bankfach.
Ein Bankfach also.
Das, was sie auf der Flucht mitnehmen konnte, nehme ich an. Schmuck, Bargeld. Aber mein Vater hat sich von ihr nicht aushalten lassen.
Sicher?
Ja.
Also arbeitete Ihre Mutter nicht. Was machte sie mit ihrer Zeit?
Sie stand in engem Kontakt mit der Familie, fuhr nach dem Krieg regelmäÃig nach Bremen.
Und die Familie fuhr nach Zürich?
Nein.
Gab es damals schon Pläne für die Rückkehr nach Bremen?
Davon habe ich nichts mitgekriegt.
Haben sich Ihre Mutter und Ihr Vater nicht gestritten?
Wenn ich was mitkriegte, ging es um mich.
Weil Ihre Mutter mit Ihnen zurückwollte. Und Ihr Vater wollte Sie in Zürich behalten.
Nein. Meine Mutter meinte, der Umgang meines Vaters, seine Künstlerfreunde, wären schädlich für mich.
Und waren sie es?
Das kann ich nicht korrekt beantworten. Ich habe mich bei meinem Vater und auch bei seinen Freunden immer sehr wohl gefühlt. Aber vielleicht wäre ich heute erleuchtet, wenn ich mich von Anfang an an meine Mutter gehalten hätte.
Da haben Sie wohl recht. Und Ihr Vater hat nie Ansprüche auf das Geschäft gestellt?
Er wollte damit nichts zu tun haben.
Aber er war dran beteiligt.
Nein.
Und seine Kunst â seine Freunde?
Mein Vater machte seine Photos. Er wollte die Alltagsmenschen demaskieren; die Engstirnigkeit aufbrechen.
Den Detektiven scheint das zu gefallen. Wie können wir uns seine Bilder denn vorstellen?
Meist waren es Montagen. Er zerschnitt Propaganda und Nachkriegsalltag, setzte sie neu zusammen und photographierte sie ab. Womit er die verstörende Wirkung erzielte, war vor allem eine Gleichschaltung. Ein nahtloses Ãbergleiten vom Damals ins Jetzt, was die meisten Betrachter verletzte. Vielleicht gerade deshalb, weil sie eine Wahrheit aus den Bildern spüren konnten; eine im Grunde eindimensionale Funktionalität.
Er hat aber auch viel mit den Ideen seiner Freunde gearbeitet. Ihr zentrales Thema waren das gepanzerte Herz und der vernagelte Geist. Sie entwickelten immer wieder neue Variationen über dieses Thema; als Skulptur, Malerei, Gedicht oder Theater, und dabei hatte jeder Zugriff auf die Kunst des anderen. Sie waren offen für Transformation, erschufen Raum für kreative Wechselwirkung und waren dabei weder kapitalistisch noch auf Ruhm ausgerichtet.
Die Detektive lächeln. Hört sich schwer nach Anarchie an.
Im Sinne einer reinen Utopie, ja. Ansonsten waren sie eher darauf aus, der Gesellschaft die subtile Systemgewalt zu offenbaren. Ich glaube, daà diese Künstler allesamt friedliche Menschen waren, auch wenn sie sehr herausfordernd erschienen. Sie lachten viel und waren bis in den banalsten Alltag unberechenbar. Grandiose Zyniker womöglich; vielleicht aber auch staunende Kinderseelen, die arglos alle Hoheitsgebiete überschritten und so die wahren Beweggründe hinter den Systemen
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