Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
Konetzke auftauchte, hat Ihr Stiefvater sich wieder einmal vor Sie gestellt und das Material nur gekauft, damit Sie weiter verschont bleiben – ein im Grunde seines Wesens guter Mensch, Ihr Stiefvater, und sein ewiger Schwachpunkt ist, daß er es Ihnen nicht zeigen kann und daß all seine Versuche, Sie vor der Vergangenheit zu bewahren, in eine Verkettung von Umständen geraten, die genau das Gegenteil bewirken. Und vielleicht hat Ihr Stiefvater nichts mit dieser großen Frau zu tun – ja, vielleicht ist sie nicht mal eine Ehemalige von der Stasi, sondern gehört ganz profan zu einer Bande, die ihr Geld mit K.-o.-Zigarren macht, und als sie Konetzke abzocken wollten, ging irgendwas schief. Und vielleicht dreht Konetzke seitdem ab; vielleicht hat er auch tatsächlich den Knacks, den ihm die Amis beibrachten, nie überwunden, und er konstruiert aus seiner Blindheit heraus Wahngeschichten und kommt damit zu Menschen wie Ihnen. Die dann damit zu Menschen wie uns kommen.
    Willem steht an der Vitrine und läßt den Australo-Schädel durch die Hände. Danach nimmt er die Statuette. Einer der Ramows steht am Fenster. Der andere läßt den Globus rotieren.
    Meinen Sie, die große Frau hat jetzt auch mich im Visier?
    Woher sollen wir das wissen.
    Die Kamera macht das Stakkatogeräusch, fängt fünf, sechs bewegte Sekunden.
    Willems Finger gleiten über das Elfenbein, die ausgeprägt weiblichen Merkmale, und über den Globus ziehen die Sternbilder wie damals auf der Wurt.
    Willem sagt: Vielleicht gelingt es Ihnen ja, ein Bild dieser Frau aufzutreiben.
    Wie stellen Sie sich das denn vor?
    Bei Ihren Fähigkeiten. Es ist ja möglich, daß ich die Frau schon mal gesehen habe. Auf einer von Kronhardts Kellerbarpartys. Oder sonstwo.

9
    Geschichtet zu einer Pyramide, so liegen sie da. Glänzend wie Obsidian, mit roten Sprengseln, und als die Köchin eine Handvoll in die Pfanne wirft, explodiert das Öl; eine Wolke bricht auf, schleudert und drängt zuletzt gegen den Rauchfang. Es dauert, bis die Frau wieder sichtbar wird; zuerst die Hand mit dem Holzlöffel, dann die Haube mit dem blauen Haar darunter, und wenn sie den Pfannenstiel nimmt und schwenkt, steigen Flammen durch die Herdringe und werfen ihr Zucken durch den gekalkten Mauerbogen bis in die Restaurant-Bar.
    Sie sitzen zu viert in der Nische; die Lichtzungen huschen gegen die Wände, und manchmal brechen die Reflexe noch in der Weinkaraffe. Inéz zieht als erste die Schärfe aus der Luft, und es dauert, bis sich ihre Worte bei den anderen in Reize verwandeln. Doch dann ahnen sie, wie die Chilis im heißen Öl springen und die Haut Blasen schlägt und platzt.
    Auch später nimmt Inéz die verborgenen Vorgänge mit ihren feinen Sinnen wahr, als säße sie daneben; den Cilantro und die Kakaobohne unter dem Wiegemesser oder die Fladen auf dem heißen Blech, und Hector sitzt neben ihr, und manchmal streichelt er ihre Hand.
    Barbara löffelt Meeresfrüchte, danach will sie rauchen. Sie geht hinter den Tresen und holt eine Schachtel.
    Willem sieht die Spanierin fragend an; damals sei ihm nicht aufgefallen, daß Barbara die Zigaretten aufgegeben habe, und jetzt wisse er nicht, wann sie wieder angefangen habe. Barbara schnappt seine letzten Worte auf und lacht. Sie habe sich aus reiner Unbeugsamkeit dazu entschieden, sagt sie. Sie habe die Zuspitzung hierzulande satt, diese Stigmatisierung nach amerikanischer Art, während rings das Recht auf intakte Umwelt ausgehebelt werde, so daß eine giftfreie Elementarversorgung längst nicht mehr möglich sei. Sie habe die politische Verlogenheit satt; den Betrug und die Verbrechen zugunsten der Konzerne, und sie lasse sich von diesem Staat nicht entmündigen, zumal jetzt, sagt sie und öffnet die Schachtel.
    Bis hinein in die Restaurant-Bar hat die Erde sich aufgetan, und das Meer ist als Gebirge einwärts gerollt. Städte sind verschwunden, die Landstriche schwarz, und manchmal ragen weit im Inneren zerdrückte Schiffsleiber aus der gestaltlosen Masse. Noch die Bilder aus den Mobiltelefonen rollen in erschütternder Weise um die Welt, und nichts scheint mehr, wie es war. Die Toten, die totale Zerstörung beben sich durch alle Systeme und Schichten, jeder einzelne scheint getroffen, die Erde endgültig geschrumpft, und in ihrer Nische spüren sie Relativität und Vergänglichkeit. Spüren, während Barbara wieder

Weitere Kostenlose Bücher