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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Deutschland und er selber ihre Tauglichkeit bereits bewiesen hätten; daß jede Stunde Null zugleich eine Auslese darstellen und keinen Raum für Sentimentalitäten lassen würde.
    Einmal dringt der Alte sogar vor bis in die Miniküche und macht Katja Bloch und Ulrike Striebeck darauf aufmerksam, daß der Arbeitsplatz kein Ort sei für irreale Ängste. Zuerst verdrehen die Frauen nur die Augen, dann lächeln sie milde gegen das Greisengesicht. Doch als sie den erbarmungslosen Ernst erkennen, zeigen sie ganz offen ihre Empörung, und als zudem noch Willem in der Miniküche auftaucht, steigert sich der Alte bald in schrille Atemlosigkeit. Erst Laschek gelingt es, den Alten wieder zu beruhigen. Als wäre nichts vorgefallen, tänzelt er durch die Leiber und bleibt mit glänzenden Augen vor Kronhardt stehen. Japan ist unser Glück, sagt er und wedelt mit einem Papier. Dann ziehen sie aus der Miniküche, und Laschek demonstriert dem Alten das ganze Glück auf seinem Bildschirm.
    Laschek scheint mit den japanischen Geschehnissen stets auf dem laufenden. Er setzt vor allem die digitalen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung konsequent um, und manchmal scheint er mit der Fukushima-Anlage so vertraut, als wäre er unzählige Male dortgewesen. Meiler eins bis vier, fünf und sechs; er weiß, wo schwarzer Rauch aufsteigt, wo weißer, er verfolgt die Hubschrauber- und bald die Robotereinsätze, führt eine tägliche Kurve zur Strahlendosis, spricht von Millisievert und notiert die Aussagen des japanischen Regierungssprechers, um sie später mit unabhängigen Messungen und auch den Entwicklungen zu vergleichen. Die Namen der japanischen Präfekturen klingen aus seinem Mund vertraut, als wären es Nachbardörfer, und als sie zu dritt in der Miniküche stehen, meint Willem, daß der Mensch Laschek bereits zur Hälfte ins Netz gesaugt sei und so den Übergang zum Kunstwesen markiere. Und die Frauen wissen, daß der Dicke bereits Wetten auf Todeszahlen und Kernschmelze am Laufen hat.
    Zum Wochenende hin sitzen sie wieder in der Nische. Durch die Herdringe stoßen wieder Flammen, Hector Luna hat eine Hand auf der Schulter von Inéz, und Barbaras Kopf liegt in Willems Arm. Sie trinken einen Rioja Alta und sprechen über Moral. Sie meinen, daß der graue Maschinenraumanzug des japanischen Regierungssprechers, seine Verbeugung und kontrollierte Art auf dem Katheder hierzulande ein Gefühl von Verbundenheit auslösen. Zudem die gesichtslose Disziplin eines ganzen Volks, das die Kettenreaktion und den apokalyptischen Schlag aufrecht trägt und das, ohne zu klagen, erneut aus einer Stunde Null heraus seine Zukunft angehen muß. Ein Volk, das nicht auf die Idee kommt, im Chaos zu plündern, sondern noch Freiwillige aussendet, aus dem verstrahlten Trümmerland Reste persönlicher Geschichte aufzuspüren – Photos meist oder Tagebücher, von denen keiner weiß, wem sie gehörten, und die nun liebevoll gesäubert für die Überlebenden archiviert werden. So ein Volk, das spüren sie in der Restaurant-Bar, muß den Deutschen nahe sein, und wenn der Mann im Maschinenraumanzug bekennt, was nicht mehr abzuweisen ist, und wenn Japan vor aller Welt daliegt – eine Zäsur wie nach den B-52ern –, ziehen sie in Deutschland insgeheim den Hut. Vor dieser Moral, die Kamikaze erfand; die mit der industriellen Großerzeugung neue Dimensionen und Reichtümer erschloß und die weiterhin vorwärts marschiert, auch wenn sie der Welt offenbaren muß, daß alles außer Kontrolle geraten kann.

10
    Mit den Küken und Hasen sind nun auch die Schockbilder von Fukushima aus den Passagen verschwunden, und die Flachbildschirme zeigen den Modefrühling in bunten Farben.
    Willem zieht über den Marktplatz und durch die Böttcherstraße bis an die Weser. Ein bißchen ab vom Martinianleger steigt der Deich aus der Promenade. Die Böschung hoch sind grobe Steintreppen gebaut, und Willem sitzt in der Sonne und sieht über den Fluß. Vor der Teerhofinsel zieht ein Ausflugsdampfer vorbei, und hinter ihm, auf dem alten Umschlagplatz der Stadt, treiben Kastanien ihre ersten Blätter aus. Der Himmel ist wolkenlos, ein stabiles Nordseehoch, das kalte Luft aus Norwegen ansaugt; dennoch sind viele Menschen bereits kurzärmlig unterwegs. Auf der Schlachte vor den alten Kontor- und Speditionshäusern wird draußen

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