Kronhardt
über den Marktplatz gehen, scheint ringsherum bereits alles im Glast geschmolzen.
Willem sitzt am Schreibtisch und hat orientalische Musik aufgelegt. Er bearbeitet ein paar Vorgänge, telefoniert mit Deutschmeister oder der Brauerei, zwischendurch steht er hinterm Teleskop und beobachtet Dohlen, die im Glockenstuhl des Doms anscheinend Kühlung suchen.
Nach Oud und Qanun legt er Jazz auf. Ein paar ruhige Stücke mit Gitarre und kleiner Besetzung, und als er das nächste Mal hinterm Teleskop steht, hat er einen Bratwurstpavillon im Fokus. Bald erscheinen die Würste mit den Gestalten zu verschmelzen, und er kann sich an der Vorstellung erfreuen, wie die Menschen dastehen und sich selber essen. Dann dringt ein sanftes Klopfen durch die Musik, und Katja Bloch erscheint. Das Make-up auf ihrer hellen Haut paÃt zum Rockmuster, das Haar ist frisch toupiert. Kommen Sie, sagt er. Setzen Sie sich.
Katja legt ein paar Akten auf den Schreibtisch. Ich habe viel zu tun, sagt sie.
Und wenn Sies gut machen wollen, müssen Sie ab und zu eine Auszeit nehmen. Kommen Sie, Katja, und er fängt ihren Gang zur Tür und lenkt ihn aufs Sofa.
Ein Sonnenstrahl dringt durchs Südfenster und vertieft Abrieb und Narben auf dem Leder. Auch Willem wird vom Licht erfaÃt, und auf seiner Haut stehen Flecken wie aus Bronze, die Kleider leuchten erdfarben. Katja hat die Augen geschlossen.
Das ist schöne Musik, flüstert sie.
Konnten Sie so etwas drüben auch hören?
Sie nickt.
Willem stellt sich trotzdem eine heimliche Welt vor; Hände, die nach Blumen tasten oder Licht.
Nach einer Zeit sagt er: Wie geht es Boris?
Doch die Musik scheint Katja einzusaugen, und Willem ahnt die Vergangenheit in ihrem Körper.
Als sie die Augen wieder aufschlägt, lächelt sie. Es tut gut, bei Ihnen zu sein. Dann sitzt sie aufrecht und streift die Schuhe über.
Als Katja zum Feierabend noch einmal bei ihm reinschaut, steht Willem wieder am Teleskop. Vielleicht setzen Sie sich mit ihrem Mann heute abend auf den Balkon. Die Erde dreht sich durch einen Meteoritenstrom, und wahrscheinlich sind viele Sternschnuppen zu sehen. Zumal wir Neumond haben.
Sie sieht ihn an. Dann sagt sie: Der Mond schafft die Gezeiten, und die Gezeiten schaffen eine Grauzone, in der das Leben von einem Element ins andere übergeht und etwas Neues hervorbringt. Boris und ich, wir leben auch in so einer Grauzone; niemals ganz in der Vergangenheit und niemals ganz in der Gegenwart. Aber wird sich für uns daraus etwas Neues entwickeln?
Vielleicht müssen Sie sich entscheiden, Katja. Vielleicht kann man als Mensch nur glücklich werden, wenn man sich entweder für die Vergangenheit entscheidet oder für die Gegenwart.
Am nächsten Morgen steht Ulrike Striebeck im Spitzgiebel. Sie trägt eine helle Hose, die ihre Hüften eng umschlieÃt und dann glatt bis auf die Schuhe fällt; ihre Bluse ist flamingofarben, ihr Gesicht dezent zurechtgemacht, und sie riecht gut.
Willem blickt die Frau an. Ehrlich gesagt, Ulrike.
Sie lacht und klemmt eine Haarsträhne fest.
Dann tritt er zu ihr. Passen Sie auf sich auf.
Mach ich.
Und gönnen Sie sich was extra Schönes.
Ja.
Versprechen Sie mir das?
Ja.
So nimmt Willem die Frau in den Arm.
Danach bringt er ihre Taschen in den Jaguar und sieht zu, wie Barbara aus der Bucht stöÃt. Einmal hupt sie, dann ziehen die Frauen davon.
Katja Bloch ist wegen ihres Mannes zu Hause geblieben. Willem ahnt, daà die beiden gestern nicht auf dem Balkon gesessen und Sternschnuppen betrachtet haben. Und daà die Vergangenheit ihren Mann in endloser Wiedererweckung aus der Grauzone hinabzuziehen scheint.
Kronhardt trägt ein neues Halstuch, seine Bürotür ist weit geöffnet, und nun, da keine der Frauen an ihrem Platz ist, laufen alle Anrufe bei ihm zusammen. Willem sieht, wie der Alte für diesen Moment gerüstet ist; wie seine Prothesen aufblitzen, wie er hinterm Schreibtisch die unterschiedlichen Aufgaben bewältigt und wie sein Blick über den Nasenhöcker alles sagt. Willem lächelt zuletzt gegen diese Härte und versucht dahinter jene Verborgenheit aufzuspüren, von der Inéz sprach. Und auch das Bedrohliche, von dem Katja sprach, das aus der Vergangenheit heraus mühelos bis ins Jetzt wirkt. So sieht Willem den Alten hinter seinem Schreibtisch und lächelt.
Laschek sitzt allein; er trägt sein Headset, bewegt die Maus, iÃt eine Frikadelle.
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