Kronhardt
ihm ablädst, was ungeklärt zwischen dir und den Alten verblieben ist.
Aus meinem Einfühlungsvermögen für den Dicken entsteht ein anderes Bild. Ich sehe einen Junkie, der sich die synthetischen Welten bis in die Nervenäste und Keimdrüsen reinzieht. Ein Mensch, der die Degeneration aller gesunden Basis in sich vorantreibt. Und warum macht er das? Weil er Angst hat. Weil er ständig etwas anschieben muÃ, sich in was reinhängen und sich vollpumpen muÃ, damit er sich nicht selbst begegnet. Davor hat er Angst. Vor der Stille in sich. Vor dem Unbekannten dort.
Barbara blickt Willem an und nimmt seine Hand. Marcel ist nicht mehr degeneriert als wir alle.
Er tut nichts für sich.
Wer sagt das? Kennst du seine anderen Seiten?
Nein.
Seine Sehnsüchte, Bedürfnisse?
Nein. Aber wenn du mit ihm sprichst, mach ihm klar, daà wir hier keine Perversionen dulden.
So sitzen sie bis in die Nacht. Ein Waldkauz ruft, aber vielleicht ist es auch eine Waldohreule, und mit den Wolken verbleibt der Himmel schwarz.
Zum Morgen quellen rosa Lichtschleier über dem Landhaus; ein Graureiher zieht dahin und schreit. Barbara steht bereits am Jaguar, als Willem kommt. Auf der Chaussee hat er einen Arm aus dem Fenster, hinter der Stahlhütte drängen die Hafengerüche. Barbara spürt den Schlag des Tages, und die Bedingungen auf dem Osterdeich lassen das Manöver nicht zu; sie brauchen drei Ampelphasen bis in die NebenstraÃe.
Im Atelier sitzt bereits eine Kundin von Inéz, und Barbara trinkt mit den Frauen noch einen Kaffee. Willem nimmt die Wendeltreppe, und in der Miniküche trifft er auf Katja.
Wie geht es Ihnen? Ihrem Mann?
Sie sieht ihn an, hebt einmal die Arme. Dann sagt sie: Laschek präsentiert gerade den Steiner-Auftrag.
Steiner ist hier?
Nein.
Kommen Sie nachher zu mir hoch?
Kronhardt sitzt neben Laschek, beide scheinen in den Bildschirm gesaugt. Als Willem dazukommt, sieht er Raumgitter in den Flüssigkristallen rotieren, die sich bald zu Figuren fügen; einer Weltkugel, einem Hexakisoktaeder oder einem Fisch.
Einmal krampft sich die Hand des Alten in Lascheks Schulter, und er sagt: Recht so.
Laschek stöÃt ein hyänenhaftes Lachen aus.
Willem sagt: Meine Fresse, Laschek. Wie kriegen Sie denn diesen Zauber hin?
Der Dicke grunzt, Kronhardts Atem ist sauer. Du störst uns.
Willem sagt: Bauen Sie so was aus simplen Algorithmen?
Da muà man komplexer ran.
Interessant. Und dann: Würden Sie mir eine Einweisung in die Materie geben?
Kronhardt sagt: Dazu ist keine Zeit. Laà uns alleine.
Was hats denn mit den Hexakisoktaedern auf sich?
Nichts.
Und warum der Fisch?
Kronhardts Prothesen mahlen, und unter dem Druck scheinen sie sich zu lockern. Dann steht er auf. Würdest du uns jetzt bitte arbeiten lassen.
Laschek gibt Befehle mit Maus und Tastatur; bald erscheint ein Männchen, bald ein Sofa, und bald kann Willem sehen, wie sich das Männchen im Sofa auflöst. Laschek sagt: Ich kann aus den Linien alles machen.
Lassen Sie die Figur auf ihrem Sofa doch durch die Galaxis fliegen; am Ende reift sie in endlosen Weiten zu künstlich verfeinertem Leben und erhält sogar noch die Menschenrechte.
Kronhardt sagt: Würdest du uns bitte mit deinem Unsinn verschonen.
Laschek löscht das Bild auf dem Monitor und starrt in die Raumgitter.
Und würdest du uns bitte allein lassen.
Sie sind eine Nummer auf Ihrem Gebiet, was, Laschek?
Der Dicke zeigt die Mäntel seiner Schneidezähne.
Aber bleiben Sie auf Ihrem Gebiet.
Und der Dicke grunzt.
Alsdann.
Weder Kronhardt noch Laschek erwidern den GruÃ.
Willem brüht Kaffee auf, als ihr Kopf in der Tür erscheint. Kommen Sie, Katja, und während er hantiert, geht sie an die Flügeltüren und sieht hinaus. Er plaudert, bestellt das Tablett, dreht zwischendurch die Musik aus und riecht zuletzt an der Milch. Dann geht er aufs Sofa und füllt die Tassen.
Katja sieht noch immer hinaus, und es dauert, bis er hinter seinen Worten ihre Stille wahrnimmt. Und dann spürt er es; geht zu ihr und nimmt sie in den Arm. Ihr Körper gibt nach, er hält sie, und ihr Atem stöÃt durch seine Kleider.
Auf dem Sofa nimmt er ihr die Schuhe von den FüÃen. Erst nach einer Zeit schlägt sie die Augen wieder auf. Verwischt Tusche und Tränen, versucht zu lächeln. Als sie etwas sagen will, ist ihre Stimme belegt. Sie trinken den Kaffee schweigend.
Von Norden her ist
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