Kronhardt
Und nach einer Zeit sagt sie: Boris fliegt demnächst wohl nach New York.
Seine Musik?
Ein paar groÃe Jazzer treffen sich zu einer Session. Sie haben Boris eingeladen.
Vielleicht hilft ihm das.
Katja meint, gerade weil es nichts gibt, was ihm hilft, ist seine Musik so überirdisch. Und sie fragt sich, was geschehen wird, wenn er drüben so gut spielt, daà danach keine Steigerung mehr möglich ist.
Katja hat mir seine letzte CD mitgebracht. Boris ist tatsächlich ein Zauberpriester. Dann richtet er das Teleskop neu aus und fängt den Schweifstern wieder ein. Er sagt: Der Komet kreuzt die irdische Umlaufbahn periodisch; ungefähr zweimal pro Jahrtausend, und die ersten Aufzeichnungen dazu langen zurück bis ins Altertum. Und dann: Katja hat gesagt, daà die Vergangenheit ihren Mann zerfriÃt. Daà die Liebe zu ihrer Tochter ihn zerfriÃt und er den Schmerz in Noten transformiert. Jeden Tag hämmert er; Schläge durch den Ãther, hat Katja gesagt, und über alle Zeit hinweg.
15
Die Satellitenbilder zeigen ein Hoch über Südwesteuropa und ein Kaltlufttief über Skandinavien. Nach den Vorhersagen sollen Ausläufer der beiden Fronten über Norddeutschland kollidieren, und es muà mit Gewittern und Starkregen gerechnet werden. In der Tendenz fürs Wochenende setzen die Meteorologen auf das Skandinavientief und sagen dramatische Abkühlung voraus, die sich von Norden her über das ganze Land ausbreiten soll.
So sitzt Willem am Frühstückstisch, hört La Campanella von Liszt, und durch die Fenster hat er Blick auf die Eichen. Dahinter die Wiese erscheint in weichem Sonnenlicht; unterm Himmel keine Spur von Okklusion und aus dem Geäst Gesang der Vögel. Er entscheidet sich gegen die Prognosen, schnürt nach dem Frühstück nur den kleinen Lederrucksack und verläÃt leicht gekleidet das Landhaus.
Er marschiert zur Chaussee hinab und dann bis zur Landesgrenze. Er muà nicht lange warten. Bald hält ein Taxi auf dem Seitenstreifen, und Katja steigt aus. Sie versucht zu lächeln, und Willem umarmt sie. Vor einer Stunde noch hat sie auf der Aussicht gestanden und der Maschine hinterhergewinkt. Boris ist auf dem Weg nach New York, und sie weià nicht, wie ihr Leben sein wird, wenn er wieder zurück ist. Sie raucht eine Zigarette; eine Zeitlang gehen sie noch an der Chaussee entlang.
Hinter einem Gehöft biegen sie ein; die Trockenheit hat den Weg aufgerissen, zwischen den Traktorfurchen wächst Gras. Bald erstreckt sich vor ihnen welliges Land, neben einem Acker liegt ein Findling. Voran über einer Pferdewiese treibt ein Storch dahin, und sein Schatten zieht wie ein Pfeil gegen den fernen Waldsaum, bevor der Vogel sich in der Thermik aufwärts schraubt. Vom Himmel leuchtet ein zuverlässiges Blau, und Willem meint, daà es zwischen den kontinentalen AusmaÃen der beiden Druckgebiete genügend Raum gibt für lokale Tendenzen.
Das nächste Gehöft wirkt heruntergekommen, und bald können sie die Erosionen an Ständerbau und Backsteinen sehen; das Reetdach ist vermoost, und vereinzelt haben BirkenschöÃlinge gefuÃt. Doch es ist nicht diese Baufälligkeit, die Katja wie eine Reminiszenz erscheint, und als sie Willem dann auf den Küchengarten aufmerksam macht, steigen auch in ihm Bilder auf. Die Beete sind in Reihe ausgerichtet und sauber begrenzt; sie können Kartoffeln und Zwiebeln ausmachen, und hinter den Blumenrabatten entdecken sie Fenchel und Dill. Bei den Bohnenstangen steht eine alte Frau mit Kopftuch und Kittel, und sie schwatzen mit ihr; zeigen gegen Felder und Himmel, auf die frischen Beete und die treibende Saat.
Sie ziehen ostwärts weiter; an einer Seite des Weges stehen Telefonmasten, und bald mischt sich der Geruch von Holzteer in die aufsteigende Hitze. Aus einem Schlehengebüsch sehen sie einen Seidenschwanz auffliegen, eine Brise streicht durch die gefiederten Blätter einer Esche, und das Rauschen erscheint zart und fern. Als der Weg gegen eine Kuppe zieht, wird er schmaler, und bald sind auch die Traktorfurchen verwachsen. Sie rasten auf leichter Höhe. Willem holt Wasser und Brot aus dem Rucksack, rings schlängelt das Land gegen die Wälder.
Sie hören Insekten während der Mahlzeit; einmal einen Kranich, und später landen Stare unterhalb der Kuppe. Sie trinken den Kaffee aus einem Becher, und als eine Passagiermaschine überwegzieht, folgt Katja
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