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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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ihrer Bahn. Willem sitzt da, manchmal hört er Rhythmus und die Geräusche wie geschichtet.
    Sie ziehen weiter; bedächtig, still, und wenn sie sich berühren, ist es ohne Scheu. Wie Pilzköpfe, von Sonne und Zeit alt geschliffen, scheinen große Steine durch einen Acker zu brechen, und aus der Ferne brüllen Kühe. Bald schwellen die Rufe, der Wind trägt Gerüche herbei, und bald können sie die Tiere sehen; sie kreuzen aufgeregt das Gelände, und einmal jagen sie in kurzer Stampede dahin, Bilder wie aus einer zurückliegenden Zeit.
    Eine halbe Stunde vor dem Landgasthof nehmen sie Weg durch einen Buchenwald; die Stämme unter den frischen Kronen erscheinen wie Säulen, und Moos überzieht den Boden. Zunderschwämme wachsen auf einem gestürzten Baum, ein Grünspecht lacht, und bald öffnet sich der Wald in eine Senke und wird zur Aue hin tiefer. Wo das Flüßchen die Senke überflutet, stehen Wasserläufer; wenn sie von Wurzel zu Wurzel springen, nimmt Willem Katjas Hand, und als sich das Bett wieder ins Land schneidet, werden die Ufer bald steiler. Ein Wind streift durch die Wipfel, rings tänzeln Lichtflecken, und sie entdecken den Eisvogel gleichzeitig. Er sitzt auf einem kahlen Ast über der Aue, sie sehen den großen Kopf mit dem dolchartigen Schnabel, den grünblauen Glanz, und einmal pfeift der Vogel. Dann steigt das Surren seiner Flügel auf, und er ist verschwunden.
    Zur Kaffeezeit erreichen sie den Landgasthof. Der Tisch steht unter einer Linde, sie sitzen wie gemasert unter dem Geäst. Spatzen tschilpen, der Himmel scheint unverändert, von Okklusion keine Spur.
    Willem erkennt den Kellner wieder. Es ist der Mann mit dem scharf gescheitelten Haar und der Hakennase; der Alte deutet eine Verbeugung an und empfiehlt den hausgemachten Kuchen. Bussarde schreien, dann entdecken sie ein Pärchen. Wenn alles planmäßig gelaufen ist, sagt Katja, könnte Boris jetzt über dem Atlantik sein.
    Als der Kellner abräumt, ordert Willem Wasser. Zu Katja sagt er: Einen Schnaps dazu? Und beide entscheiden sich für Calvados.
    Meine Eltern sprachen viel von Klassenauftrag und Volkswirkung. Sie blieben bis zuletzt überzeugt von der Planbarkeit der Dinge, und persönliche Entfaltung war an Richtlinien und Ziele gebunden.
    Ich war ihr einziges Kind, sie liebten mich, und die Familie war ein Gespann. Egoismus war schädlich, und für mich hatten sie von Anfang an einen festen Zeitplan: Stillen, Schlafen, Töpfchen; später Krippe und Schule, und ich lernte, daß auch der Staat mich liebte. Anfangs war es nur der Glaube an die Existenz von etwas, was mir unsichtbar und nicht zu erfassen schien. Doch als der Staat uns in einen nagelneuen Plattenbau ziehen ließ, da konnte ich diese Liebe sehen, und ich weinte vor Glück.
    Ich war immer eine gute Schülerin, doch oft genug strengte ich mich extra an. Ich wollte mich dankbar zeigen, meinen Eltern gefiel das, und dem Staat mußte es auch gefallen.
    Meinen ersten Sex hatte ich in einem FDJ -Lager an der Müritz; ich nahm teil an der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, und wenn ich aus dem Jugendclub direkt in die Datsche meiner Eltern fuhr, war das in Ordnung. Ich bekam die Pille, und bei allem Spaß vergaß ich nie, daß es immer um ein höheres Ziel ging.
    Boris lernte ich auf der Oberschule kennen. Das heißt, vom Sehen her kannte ich ihn schon, weil ihn fast jeder kannte. Boris spielte Klavier, er hatte Wettbewerbe gewonnen, und Leute vom Kulturbund und sogar vom Politbüro waren schon gekommen, um ihn zu hören. Ich war sehr verlegen, als Boris bei den Fahrradplätzen plötzlich neben mir stand und lächelte. Ich glaubte, daß jemand, der seine künstlerischen Fähigkeiten für Volk und Staat entfaltete, von einer besonderen Art sein mußte, die für mich nicht erreichbar war. Daß Menschen mit einer so gestaltschaffenden Begabung, die bis zur Staatsspitze hinauf wirkte, kaum etwas anzufangen wüßten mit mir. Doch Boris stand neben mir, als wäre es nichts; er lächelte scheu, er sagte, gehts gut, und ich stellte bald fest, daß das Besondere seiner Art vor allem Ehrlichkeit ist. Er ist von stillem und zurückhaltendem Charakter; und ich bin bis heute überzeugt, daß er mich noch nie angelogen hat.
    Nach der Schule trafen wir uns regelmäßig im Park mit dem Lenindenkmal. Fütterten die zahmen Eichhörnchen,

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