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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Wirtschaftswunder des Klassenfeinds diskutiert wurde, konnte er die Genossen mit seiner Eloquenz begeistern. Er sichelte dem Kapitalismus in die Gurgel, er hämmerte dem Kapitalismus die Eingeweide raus, und sobald er dann seine eigenen Instrumente offenbarte, erstrahlte alles in extra rotem Heil. So saß von Wrangel bald an den fetten Tischen der jungen DDR , und wie nebenbei notierten die Genossen seine griffigen Formeln, um sie später in ihre Grundlagenpapiere einzuarbeiten oder um bei den Enteignungen die öffentliche Wahrnehmung mit Schlagwörtern wie volkseigen zu zerstreuen. Wie ehedem Himmler oder Goebbels ließ nun Ulbricht von Wrangel kommen, und bei der Einweihung eines sowjetischen Ehrenmals gab der Generalsekretär ihm sogar den Bruderkuß, den er seinen innerparteilichen Gegnern demonstrativ verwehrte.
    Seinen zweiten akademischen Grad machte von Wrangel in Moskau, und danach bestellten sie ihn zum wissenschaftlichen Direktor eines Fischkombinats in Rostock. Zum Antritt hielt er eine Rede, in der er die Elementargewalt volkseigener Forschung mit der kommunistischen Kulturfunktion verschmolz und die Überlegenheit des sozialistischen Urgedankens an die Geheimnisse der Ozeane koppelte; an das gottentleerte Leuchten im kosmischen Werdegang, das den Fundamentalisten von Bibel und Kapital auf immer verborgen bleiben mußte. Er schloß seine Rede mit einem Aufruf zu kollektiver Heuristik und einem Dolchstoß gegen den Klassenfeind, und Moskau und Berlin hatten ZK -Mitglieder geschickt, und im Kombinat gab es rauschenden Beifall.
    Von Wrangels offizielles Steckenpferd waren die Störe; er wußte viel darüber, wie Erbfaktoren wirken oder beeinflußt werden konnten, und spezialisierte sich darauf, Körnung und Geschmack der Rogen in gewünschte Richtungen zu steuern, und neben den Stören leitete er ein Geheimlabor für die Russen, das sie Bathysphäre nannten. Von Wrangel beschäftigte sich dort vor allem mit Substanz und Wirkung kaum zugänglicher Lebewesen, und die Russen stellten ihm Spezialisten aus Wissenschaft und KGB an die Seite. Ulbricht erfuhr erst von dem Labor, nachdem er seine innerparteilichen Gegner ausgeschaltet hatte. Als der Genosse Gustav ihn zum ersten Mal durch die Katakomben führte und beispielsweise die chemischen Prozesse erklärte, die bei marinen Tieren eine Eigenleuchterscheinung hervorrufen können, lächelte Ulbricht. Und er hielt sein Lächeln, als von Wrangel ihm die Giftwirkung von Seeanemonen oder Cubomedusen demonstrierte, und später sprach Ulbricht sich Moskau gegenüber für eine Perfektion der Westabschottung aus; er akzeptierte die Oder-Neiße-Linie, verfeinerte die Politik des sozialistischen Aufbaus und trieb die Bildung von Produktionsgenossenschaften voran. Und Stalin war zufrieden mit Ulbricht, Stalin war zufrieden mit von Wrangel, und kurz nach Stalins Tod ließ Ulbricht den 17. Juni niederschlagen, und von Wrangel sagte für die kontrollierte Massenproduktion von Kaviar neue Dimensionen voraus.
    Während unter Chruschtschow eine Entstalinisierung anlief, bekannte Ulbricht sich zum Warschauer Pakt; er unterzeichnete den Vertrag zur Stationierung der Sowjettruppen und entwickelte Pläne für eine Volksarmee. Zeitgleich hielt von Wrangel vor dem Fischkombinat Reden, mit denen er die deutsche Zweistaatentheorie untermauerte oder Visionen entwarf, die das Land und bald die ganze Welt in den sowjetischen Kosmos einfleischten. Und wenn die Russen ihm ihre Spezialisten schickten, ließ er mit seinem Spezialwissen kaum eine Frage offen. Und obwohl er seinen schneidenden Verstand gern demonstrierte, bewies er eine erstaunliche fachübergreifende Fähigkeit. So reiste er mit Ulbricht bald auf die Krim, wurde bald in Sofia vorgestellt oder Havanna, und dann schickten die Russen ihn auf internationale Kongresse.
    Gustav von Wrangel. Ein Wissenschaftler, der ganz offiziell in Sachen Fisch unterwegs war. Egal, ob in Maputo, in Helsinki oder Bremen; als ob der Eiserne Vorhang nicht existierte, und so tauschte von Wrangel sich mit der internationalen Elite aus. Beriet darüber, ob die Kladogenese Neuerungen in der Nomenklatur der Zackenbarsche notwendig machte; diskutierte neueste Erkenntnisse zum Paarungsverhalten der Stichlinge oder Laborversuche zur darwinistischen Evolution.
    Doch in Wirklichkeit waren die Fachgespräche vom Kalten Krieg durchdrungen, und hinter Zackenbarschen oder Stichlingen

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