Kronhardt
aufzugehen. Und auch in der Schweiz verbarg er den tiefen Sinn seiner Bilder hinter ihrem künstlerischen Ausdruck, und die Galeristen interessierten sich für ihn. Doch Ihr Vater entblöÃte die Fratzen hinter den jovialen Galeristengesichtern; die Mechanismen, mit denen sie Kunst inszenieren und beherrschbar machen wollten, und so traf er schlieÃlich auf Menschen, die seine Gesinnung nach Würde und innerer Freiheit teilten. Sie schlossen sich zusammen und verwandelten die vernagelten Köpfe und Herzen ringsherum in pulsierende Kunst und Lebenslust.
Auf Ihre Mutter wirkte diese Gesinnung abstoÃend; sie war tief davon überzeugt, daà die Freiheit des einzelnen stets zugunsten einer gesellschaftlichen Ãberordnung reglementiert werden muÃte, und in ihren Augen war Ihr Vater ein Anarchist. Dennoch hielt sie den Schein einer gut funktionierenden Ehe, und wenn sie nach der Stunde Null auf Besuch in die Heimat kam, begegnete sie der moralischen Verbitterung und der Schmach dort mit dem Nimbus der Emigrantin. Ihre Haltung wirkte von Anfang an aufrecht, und wenn sie ganz offen Visionen für den Wiederaufbau des Familienbetriebs entwickelte, sprach sie aus der Seele eines ganzen Landes. Um aber sozusagen auch die Katharsis des Familiengeldes zu manifestieren, blieb sie zunächst Emigrantin und beobachtete die heimatlichen Entwicklungen weiter aus der Ferne. Auch das gehörte zum Plan, und so ratterte Ihr Stiefvater Red Sox oder Giants aus den Maschinen, aus Wolfsburg ratterten die Standardmodelle, und Ludwig Erhard setzte die Währungsreform durch. Der Marshallplan griff, Deutschland erwirtschaftete sich wieder Selbstwert, und bald strömte auch schweizneutrales Familiengeld in diese Kolbenschläge, und aus dem neuen Automatikpark ratterte die Identifikation ins ganze Land.
Irgendwann um diese Zeit beschloà Ihre Mutter, Scheidung und Rückkehr nach Deutschland vorzubereiten. Sie wollte endlich zurück ins Geschäft, wollte Robert an ihrer Seite und ein Kind von ihm. Doch ausgerechnet dieser Teil des Plans lieà sich nicht umsetzen â da konnten Ihre Mutter und Kronhardt Verkehr haben, wie sie wollten, da konnten sie sich mit Lackschirmmütze oder sonstwas erhitzen, es brachte keine Frucht. Der Drang zur Reproduktion eigener Merkmale krepierte, und die groÃe Vision, die eigenen Spuren in die eigene Zukunft zu setzen, war in Gefahr. Ihrer Mutter muÃte diese Sackgasse wie ein Makel erscheinen, und sie war von Anfang an sicher, daà es kein persönlicher Makel war. Und tatsächlich wurde bei Ihrem Stiefvater eine chromosomale Sterilität festgestellt, so daà er also für einen elementaren Teil des Plans untauglich geworden war. Daà schlieÃlich Richard eine Zukunft in ihrem Leib schwellen lieÃ, verzögerte dann die Pläne zu Scheidung und Rückkehr.
Wolken ziehen überweg, mal in die eine, mal in die andere Richtung, und jenseits der Reling bleibt die Welt sprunghaft und unscharf. Aller Glaube an Festigkeit gleitet über in stets neue Formen oder Zustände â Schilfgürtel, Leuchtfeuer, die Kimm, und so spürt Willem das Stampfen der Maschine.
Mit Ihrer Geburt, sagen die Detektive, eröffnete sich eine neue Dimension; Ihrer Mutter tat sich die Zukunft auf, und das Kind an ihrer Brust erschien wie ein Rohling, durch den sie sich selbst potenzieren konnte. In Ihrem Vater hingegen tat sich etwas auf, das er sich in dieser kannibalischen Welt womöglich gar nicht zugetraut hatte: Liebe; und wenn er den Sohn in seinen Armen hielt, seinen Atem spürte und die unvernagelten Räume, potenzierte sich für ihn das Wunder des Daseins. Und so zeigte Ihr Vater Ihnen eine Welt von unendlicher Schönheit und Rätselhaftigkeit, die nichts mit der Wirklichkeit Ihrer Mutter zu tun hatte.
Aus Sicht Ihrer Mutter hatten Sie den falschen Vater, und wie der Wunschvater trugen Sie bereits jene sprunghaften Erbfaktoren in sich, die Sie zu einer geschlechtlichen Sackgasse machen würden. In Zürich wuÃte Ihre Mutter aber noch nichts von diesem Makel, und sie glaubte an den wunderbaren Rohling, in dem sie ihre eigene Wirklichkeit auf die Zukunft hin festigen konnte. Das einzige, was ihr zu der Zeit Sorge machte, war der Vater. Sie muÃte mit ansehen, wie Richard die Seele ihres Kindes verbog; wie das Kind selber sich mehr und mehr zu diesem Anarchisten hingezogen fühlte und eine Sicht auf die Welt entwickelte, die nichts
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