Kronhardt
vulgär, und sich am Strand oder sonstwo gewisse Anregungen zu holen war im Angesicht dieser Constanze beschämend. Sie ist ein Lichtwesen, dachte er. So feinstofflich und zart, daà ihr Inneres sie leuchten läÃt, als käme sie von einem anderen Stern. Er fand es unglaublich und erschrak bei dem Gedanken, daà dieses Mädchen womöglich Bedürfnisse entwickelte wie jeder.
So wurde er rot, wenn sich ihre Blicke trafen, und wenn die anderen eine Geschichte forderten â Komm schon, Willem! Es geht um nichts! â, dann blieb er sprachlos.
Es war seltsam; er wuÃte nichts von ihr und machte alles daraus. Er wurde konfus und wuÃte nicht, ob sie selbst ihn konfus machte oder seine Vorstellung von ihr. Bald konnte er nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Vision unterscheiden â er sah ihre zarten Schläfen, das weiÃe Haar, Constanze schwebte, Constanze strahlte, und als der dicke Erwin vor ihm stand und ihn schüttelte, wuÃte er nicht mehr, wo er war.
Menschenskinder, sagte Erwin, und dann brachte er Willem an die Strandmeile. Er setzte ihn an einen Tisch, bestellte dreimal Fürst-Pückler und kam mit Constanze zurück. Erwin verschlang seine Portion und war wieder verschwunden.
Constanze fragte, ob sie zu Willem unter den Schirm dürfe. Er konnte es nicht glauben. Er zitterte, und obwohl sie sich nicht berührten, spürte er ihren Körper. So saÃen sie und löffelten ihr Eis. Constanze sagte, daà sie die pralle Sonne meiden müsse. Sie habe Leukämie.
Willem sah auf, und sie lächelte.
Man bekommt ein Leben geschenkt, sagte sie, und dann muà man etwas daraus machen. Es gibt seltene Gelegenheiten, sagte sie, und wenn man sie ausläÃt, wird man nie erfahren, was hinter ihnen steckt.
Später schlenderten sie über die Meile. Das Mädchen war älter als Willem, doch hinter Constanzes feinstofflicher Ausstrahlung blieben die Jahre unsichtbar. Die Auslagen in den Geschäften schienen sie nicht zu interessieren, nicht mal die neusten Scheiben aus England. Doch einmal blieb sie stehen und nahm eine groÃe Muschel; dann legte sie Willem die Muschel an ein Ohr, und über sein anderes stülpte sie ihre Hand. Ein Rauschen erfaÃte ihn, und die Berührung ging ihm durch und durch.
Constanze band ein Kopftuch um, und über den Badeanzug streifte sie ein Trikot. Willem bemerkte, daà Schnitt und Muster ihrer Kleider wie aus einer anderen Epoche wirkten, und er hörte zum erstenmal Begriffe wie VEB oder Kombinat.
Sie sah ihn an und lächelte. Die Dinge, die ein Volk produziere, meinte sie, sollten vor allem nützlich und haltbar sein. Alles, was darüber hinausginge, verwische nur Freiheit und Gleichheit eines Volkes. In der DDR verachte man die Mechanismen des Kapitalismus, und Kleider beispielsweise stünden dort in keinem Zusammenhang mit Status oder Wert eines Menschen. Wenn sie an Müritz oder Ostsee fuhren, sei die Nacktkörperkultur selbstverständlich.
Willem konnte es nicht glauben. Ein nacktes Volk.
Doch Constanze lachte nur. Für sie sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen auch in diesem Teil Deutschlands soweit wären â wie alle von Herrschaft durchsetzten Ideologien hätte auch der Kapitalismus nur einen zeitlich begrenzten Machtbereich, und eines Tages würden sie auch hier einsehen, daà die künstlich erzeugte Gier nach Anschein zerstörerisch sei. Das irdische Glück, das aus einem Volk selber erwachsen und jeden einzelnen erfassen und einbinden könne, werde im Kapitalismus zugunsten von endlosen Ersatzprodukten aufgegeben.
Willem dachte über ihre Worte nach. Dann fragte er, ob sie ihre Ansichten aus der Schule habe.
Natürlich wurden den Kindern von der Krippe an die Vorzüge des Arbeiter- und Bauernstaates nahegebracht. Und Constanzes Eltern waren überzeugte Kommunisten, die vor den Nazis bis nach Moskau geflohen waren. Doch erst seit die Ãrzte die Krankheit in ihr diagnostiziert hätten, befasse sie sich ernsthaft mit den Möglichkeiten des Menschen zum Glück. Manchmal, wenn sie zu schwach sei, um aufzustehen, und die WeiÃblütigkeit in sich spüre, habe sie Visionen vom irdischen Glück und der Gleichheit aller Menschen. Und sie könne sehen, daà dieser Zustand der Menschen so lange nicht erreicht werden würde, wie es kapitalistische Systeme gebe, die ihr wie eine alles erfassende Krankheit erschienen.
Kapitalismus,
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