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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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willkommen.
    Willem stellte schnell fest, daß man hier sein konnte, wie man wollte. Zu Hause mochte man sein Päckchen mit den Alten oder sonstwas zu tragen haben; zu Hause mochte man als Flasche gelten oder als Fickfrosch, doch hier schien es einfach, die Dinge wieder zurechtzubiegen. Egal, was bisher schiefgelaufen war und wie sie einen in der Schule oder sonstwo sahen, hier wußte niemand etwas, und im Grunde konnte man das Bild von sich in genau die Richtung biegen, in die man wollte.
    Willem hörte sich die Geschichten der anderen an, und tatsächlich waren es immer Geschichten, die zum Ende hin gut ausgingen und fröhlich machten; noch der böse Stiefvater oder der durchtriebene Priester erschienen unter dem Hochsitz wie aus einer fernen Welt, und für alle schien es klar zu sein, daß es auch nach dem Urlaub so bleiben würde.
    Die Geschichten gingen reihum, und als die anderen schließlich Willem ansahen, hatte er das gute Ende bereits im Kopf. Doch noch während er erzählte und nur in Kleinigkeiten von der Wahrheit abwich, staunte er darüber, wie sich aus kleinsten Veränderungen der Anfangsbedingungen große Folgen ergeben konnten. Marduk und Hans verwandelten sich in seiner Geschichte schließlich zu Helden, und im Verbund mit dem Erdkundelehrer enttarnten sie zuletzt den Rektor und das Fräulein von Weyer als Altnazis, die alle Schuld und Sühne verweigerten und die Fäden bereits wieder in den Händen hielten.
    Und auch Doktor Blask verwandelte sich. Für den Doktor, erzählte Willem, für den steht fest, daß mit der menschlichen Rasse was schiefgelaufen ist. Daß sie sich eine Wirklichkeit erschaffen haben, die krank und vernagelt macht. Doch Ursachen interessieren den Doktor schon lang nicht mehr, und einer seiner Lieblingssätze ist: Es geht um nichts. Er sagt auch: Alles ist gut und nichts ist abscheulich, und Ekel kennt der Doktor längst nicht mehr. Und wenn er in den verwucherten Gehirnen stochert und in den angefaulten Seelen, kann er sich freuen wie ein Kind.
    Nach Feierabend steckt er eine Zigarre an und träumt von unfruchtbar machenden Bakterien. Wenn man schon nicht den Trieb kontrollieren kann, sagt er, dann wenigstens die Mechanismen der Fortpflanzung. Und bei ihm sitzen seine beiden Frauen, Tatjana und Solveig nennt er sie, und niemand weiß, wie sie wirklich heißen. Oder sonstwas über diese Frauen, doch sobald ein Mann sie sieht, zündet es. Von solchem Kaliber sind die beiden, und wenn andere Frauen Tatjana und Solveig sehen, spüren sie diese Wirkung auf die Männer auch sofort, und ihre Eifersucht schlägt in Bosheit um, und weil ihre Männer ständig zu diesem Doktor rennen, gehen auch die Frauen hin. Und der alte Knabe sitzt da, kitzelt die verkorksten Existenzen raus und lacht sich kaputt.
    Und wißt ihr, sagte Willem, was ich glaube: daß Tatjana und Solveig Gesinnungsgenossen sind vom Doktor. Daß die bloß Sex machen, um das Milieu parat zu haben, in dem Leben entsteht. Versteht ihr, Penis in Vagina, das ist bei denen nur sekundär. Abstriche und Kulturen unterm Mikroskop, darauf kommts denen an. Und dann Bakterien, die sie drauf ansetzen können.
    So saßen sie unterm Hochsitz wie um ein Feuer, und die Geschichten drangen ein in die Köpfe und wirkten dort weiter.
    Eines Morgens brachte Erwin ein Mädchen mit unter den Hochsitz. Kinder, rief er und klatschte in die Hände. Das ist Constanze. Was ganz Seltenes, die kommt frisch aus der Ostzone, und dann stellte Erwin ihr die Runde vor. Alfred und Cosima aus Berlin, Arno aus Bargfeld, Katja aus Lübeck, Willem aus Bremen. Und wie im Vertrauen sagte er zu Constanze: Willem fängt seine Geschichten ganz harmlos an. Er erzählt dir, daß es um nichts geht. Aber noch bevor du richtig dahinterkommst, steckst du schon in einer anderen Welt, und nichts ist mehr so, wie es einmal war.
    Sie lachten in der Runde, und auch Willem lachte mit, als wäre nie die Rede von ihm gewesen.
    Constanze hatte violette Augen. Ihr Haar war weiß, die Haut war weiß, sie war zart, und an den Schläfen schimmerten ihre Adern.
    Willem sah das Mädchen an, und als sie seinen Blick bemerkte, wurde er rot.
    Der dicke Erwin pfiff als erster, dann johlte die ganze Bande.
    Und Willem spürte etwas wie nie zuvor. Es war kein Vergleich zu all den Phantasien – im Gegenteil: Die Brüste einer Patrizia von Kattenesch erschienen plötzlich

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