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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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auch schon gestorben. Auf keinen seiner Briefe hatte er Antwort bekommen, und wenn sie als geisterhafte Materie weiterexistierte, konnte er sie nicht wahrnehmen.
    Manchmal dachte er auch, daß sie vielleicht gar nicht aus der DDR käme und gar keine Leukämie hätte. Daß sie schon morgen wieder neben einem Jungen sitzen und bald Hand in Hand mit ihm spazieren würde. Man bekommt ein Leben geschenkt, würde sie sagen, und dann muß man etwas daraus machen.

16
    Sie liefen zwischen Schrottautos, montierten verchromte Seitenspiegel ab und lagerten sie in einem Gestell. Danach bauten sie einen Kühlergrill aus, der wie ein Haifischmaul aussah. Als sie sich in den Fond eines schwarzen Citroën fallen ließen, holte Schlosser seinen Beutel vor.
    Durch den Rauch hindurch sagte er dann, daß man im Leben wohl nicht darum herumkäme, sich Situationen zu stellen, die man sich nicht ausgesucht hätte. Man könne das nicht vermeiden. Aber man könne versuchen, das Beste daraus zu machen.
    Willem streckte ein Bein aus dem Seitenfenster und blickte in den Märzhimmel. Er habe auch schon in diese Richtung gedacht.
    So saßen sie auf der Lederbank. Schlosser rollte noch eine Zigarette, und der Rauch stieg aus dem Wrack. Der Winter war lang gewesen, und sie sahen die ersten Gänse. Dann rief der Schrotthändler, und Schlosser hantierte mit einem Flaschenzug und sortierte Kotflügel in ein Gestell. Er kannte sich bereits aus, Modelle und Baureihen, und Willem sah, daß er das schwere Blech im Griff hatte. Drei Mark zahlte ihm der Schrotthändler für jeden Nachmittag, und wenn Schlosser die Schule schwänzen wollte, hatte der Mann nichts dagegen. Siebenfuffzig den Tag, hatte er gesagt, rein netto.
    Schlosser arbeitete, wann immer es ging.
    Und an den Wochenenden bastelte er sich ein Moped zusammen. Der Schrotthändler lachte, eine Brennhexe aus Resten und Abfällen, sagte er, doch als Schlosser die erste Runde drehte, zog der Mann seinen Hut und besorgte ein Nummernschild.
    Die Brennhexe war ein seltsames Ding. Eine Hybride aus Modellen und ihrer Geschichte, Rasanz und Plumpheit miteinander verschraubt. Der Motor röhrte, aus dem Auspuff schlugen Flammen, und die Brennhexe war schnell. Schlosser hatte zwei Schwingsättel montiert, und so fuhren sie durch die Stadt. Überholten die Clubjacken auf ihren Rollern, johlten, pfiffen den Mädchen hinterher und fühlten sich gut. Sie bockten die Brennhexe auf, vor Macciavelli oder der Kneipe mit dem Kickerautomaten, und Willem bezahlte die Rechnungen. Und einmal hatten sie die Polizei im Nacken, weil Schlosser eine Ampel bei Rot genommen hatte. Doch er ignorierte den Streifenwagen, und als das Martinshorn aufheulte, hängte er ihn in den Seitenstraßen ab.
    Willem fand so eine Flucht heikel, und er dachte an die geisterhaften Fähigkeiten der Polizei; an diesen allgegenwärtigen Apparat, der so übergeordnet in der Zeit erschien, daß heute oder in fünf Jahren eins war. So war der Erfolg der Geflüchteten womöglich gar keiner, und aus Sicht der Polizei schien jeder Straftäter bereits gestellt, und jeder Unbekannte würde mit den ständig verbesserten Erfassungsmethoden bald kenntlich gemacht werden. Also war es heikel, sich mit der Polizei anzulegen, und jedesmal wenn er nach ihrer Flucht einen Tschako sah, rechnete Willem damit, verhaftet zu werden.
    Schlosser fand Willems Reaktion absolut normal. Schließlich wurde vom rechtschaffenen Bürger das innere Hackenzusammenschlagen erwartet. Er selber konnte in ihrer Flucht ein Zeichen gegen Willkür und Obrigkeitsdenken sehen; doch dann räumte er ein, daß er sich einfach keinen Ärger erlauben konnte. Und schon gar nicht mit der Schupo; dabei ginge es nicht um ihn, sagte er, sondern um die Zwillinge.
    Schüler für Asservatenkammer gesucht. Entstauben. Sortieren. Jeden Montagnachmittag. Stunde zwei Mark. Willem hatte das Schild gelesen und war gleich zu einem der Aufseher gegangen. Der Aufseher sagte, dafür sei der Direktor zuständig.
    Der Direktor saß hinter einem großen Schreibtisch und hielt eine Figur in den Händen. Soso, Kronhardt also. Und ob Willem sich darüber im klaren sei, daß der Posten nicht nur Zuverlässigkeit und Verantwortung voraussetze, sondern auch Vertrauen. Da ist der tadellose Leumund selbstredend. Weißt du, was das ist?
    Sieht aus wie ein germanischer Eber aus der Bronzezeit.
    Der Direktor

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