Kronjuwel (German Edition)
Siegeszug dieser Kultur sie bis auf den amerikanischen Kontinent geführt hat.«
Selten hatte er sie so mitgerissen erlebt. Für einen kurzen Augenblick glaubte er in ihr vielleicht die junge, begeisterte Forscherin zu sehen, die sie irgendwann einmal gewesen war, bevor das Hin und Her in der Wissenschaft ihr den Mut geraubt hatte und sie zu genau der verbitterten Professorin geworden war, gegen die sie früher immer hatte rebellieren wollen. War das wirklich, was auch er für sein eigenes Leben wollte? Einen Fund machen, Artikel veröffentlichen und dann hinter einem Schreibtisch dabei zusehen, wie seine Leidenschaft, sein Talent und seine Fähigkeiten wie eine welke Blume in sich zusammenfielen? Er stand vielleicht gerade auf der ersten Stufe auf dem Weg dorthin, doch schon jetzt empfand er nicht im Geringsten mehr die Begeisterung für sein Fach, die ihn einmal dazu gebracht hatte, es zu studieren. Er neigte in seinem Leben nicht zuletzt so zur Verzweiflung, weil er keinen Spaß mehr an dem hatte, was ihn irgendwann vor einigen Jahren einmal fasziniert hatte.
»Also gut«, sagte er schließlich ohne es wirklich so zu meinen, nur um das Gespräch möglichst schnell zu beenden und etwas Zeit dafür zu haben, über alles nachzudenken.
Doch aus einigen Minuten um nachzudenken wurden Stunden, aus einigen Stunden ganze Tage und ehe er sich versah war fast eine Woche vergangen, ohne dass er viel Zeit damit verbracht hatte, über die existentielle Frage nachzudenken, die ihn beschäftigt hatte. War es noch bei ihrem Rückflug aus San Diego sein festes Vorhaben gewesen, innerhalb kürzester Zeit eine Lösung zu finden, hatte er angefangen, sich in seinem neuen alten Leben einzufinden. Schlagartig hatte sich fast alles für ihn geändert. Nicht nur durfte er viel mehr Aufgaben übernehmen, musste keine Dokumente im Archiv mehr sortieren oder andere ebenso zeitaufwändige wie viel zu einfache Aufgaben erledigen, sondern bei jedem einzelnen Blick, der ihm zugeworfen wurde, fühlte er, wie sich die Meinung der anderen über ihn geändert haben musste. Studenten sahen ihn nicht mehr abschätzig oder gar mitleidvoll an, Kollegen fingen an, ihn zu respektieren und vielleicht sogar ein bisschen für seinen rasanten Aufstieg zu beneiden. Niemandem entging, wie er auf einmal zu Professor Caine stand. Er selbst hatte noch immer Vorbehalte, zu lange hatte sie ihn gnadenlos schuften lassen, doch sie schien eifrig zu versuchen, einen Teil davon wieder gutzumachen. Sie hatte ihm eines ihrer Archäologie Seminare übertragen, damit er mehr als vorher mit den Studenten arbeiten konnte und die ganze Woche über hatte er nie länger als in den frühen Nachmittag hinein an der Universität sein müssen. Er konnte unmöglich leugnen, dass er eine gute Zeit hatte, und doch drängte sich in den unterschiedlichsten Situationen immer wieder der Gedanke an das Schließfach in San Diego in seine Erinnerung und löste ein unbehagliches Gefühl aus, als gäbe es eine Aufgabe, die er unbedingt angehen müsste, bislang aber immer vor sich herschob.
Mit einer Papiertüte unter dem Arm verließ er Mr. Lins Supermarkt an der Ecke und angelte in seiner Hosentasche nach seinem Wohnungsschlüssel, als er über den Bordstein den kurzen Weg zu seinem Appartement ging. Er hatte den achten Tag hinter sich gebracht und bekam langsam so etwas wie Routine in seinen Tagesablauf. Nur noch selten wurde er von Gedanken daran geplagt, ob ihm nicht eigentlich größeres bestimmt sei, doch noch immer blieb das Gefühl in ihm, das etwas falsch gelaufen war, als hätte er einen Fehler gemacht. Doch er konnte besser damit umgehen und lag nicht länger halbe Nächte wach auf seinem Bett und starrte von Selbstvorwürfen zerfressen die Decke an.
Sein Telefon klingelte und er zog es aus seiner Jackentasche.
»Bishop«, meldete er sich und vermutete, dass es jemand aus der Universität war.
»Sie haben da etwas, das uns ausgesprochen interessiert«, klang ihm eine unbekannte, raue Stimme entgegen. Es dauerte einen Moment, doch dann wurde Noah schlagartig hellhörig und blieb unwillkürlich mitten auf dem Gehweg stehen.
»Wer ist da?«, fragte er, doch bekam keine Antwort.
»Wir wissen von der Steinplatte und wir wissen auch, dass sie noch immer in Ihrem Besitz ist. Die Frage ist also, was haben Sie damit vor? Wollen Sie sich als Finder präsentieren? Dafür dürfte es zu spät sein. Oder wollen sie das, was so ziemlich jeder Mensch auf dieser Welt haben will?«
»Und was
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