Krontenianer - Rendezvous am Bogen (German Edition)
gegraben, bis jeder der sechs Miniroboter freigeschnitten worden war.
Die OP-Tür schwang auf und Marla kehrte zurück.
„Nali ist nebenan. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel aus dem Medizinschrank gegeben. Sie schläft nun.“
Marla zögerte, blieb stehen. Elodie stand immer noch am Waschbecken, weiß wie ein Gespenst und gezeichnet von Angst. Vanti lehnte auf der anderen Seite an der Wand. Er hielt Blickkontakt mit Marla, doch seine Augen schienen leer und abwesend. Das Aussehen der Kollegen weckte die schlimmste Befürchtungen in ihr.
„Was ist mit Richard?“, fragte sie voller Furcht, die Antwort schon kennend.
„Bleiben Sie dort stehen ..., Sie sollten sich das nicht ansehen. Behalten Sie Richard so in Ihren Erinnerungen, wie Sie ihn kannten.“ Die Lippen des Captains zitterten. Er versuchte, als Vorgesetzter Fassung zu bewahren.
Marla haderte und dachte an ein Ereignis vor sieben Jahren auf der Erde zurück. Sie hatte einige Wochen zuvor ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert und sich auf den Wochenendausflug mit den Eltern gefreut. Zu dritt waren sie mit dem Hooverjeep auf einer Schnellstraße in Richtung der romanischen Berge unterwegs gewesen. Immer wieder war in den Nachrichten vor Attentaten militärischer Splittergruppen, die nicht der offiziellen Global-Armee der Erde angehörten, gewarnt worden. Hier und da hatte man Berichte von Übergriffen mit Verletzten und Toten gehört. Nie hätte Marla geglaubt, dass sie einmal selbst zu denen gehören würde, über die in den täglichen Nachrichtensendungen berichtet wurde. Der Hooverjeep hatte die Hauptstraße verlassen und kam in der großräumigen Ausfahrt zum Stehen. Ohne ersichtlichen Grund standen bereits sechs andere Fahrzeuge wartend in einer Schlange. Es waren nur wenige Sekunden gewesen, die sie pausiert hatten, da zerriss eine infernalische Detonation die Luft und eine heiße Druckwelle fegte Marla von der Rückbank des Jeeps. Als sie wieder zu sich kam, lag sie zwanzig Meter entfernt im Gras. Alles war in beißend schwarzen Rauch gehüllt, brennende Trümmer und Leichenteile bedeckten die Umgebung. Einzelne Schreie waren zu hören. Die komplette Ausfahrt war zerstört worden. Alle sieben Fahrzeuge standen oder lagen zerfetzt um den Explosionskrater im Asphalt. Bis auf der Schnellstraße die ersten Gefährten angehalten hatten, um zu helfen, war Marla bereits zu den Resten ihres Hooverjeeps getaumelt. Ein Anblick, den sie nie vergessen hatte. Die Leichen ihrer Eltern – bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Es hatte nach verkohltem Fleisch gestunken. Dem Vater hatte die Wucht der Explosion den Kopf abgerissen. Der Körper der Mutter hatte komplett verdreht, mit unzähligen Knochenbrüchen unter dem Antrieb des Hoovers gelegen.
In den folgenden Jahren war Marla immer wieder von Alpträumen aus dem Schlaf gerissen worden, schweißgebadet und zitternd. Dabei hatte sie das grausame Szenario jedes Mal aufs Neue durchlitten, vom Anfang der Fahrt bis zum Tod ihrer Eltern.
„Frau Santiago, geht es Ihnen gut?“ Die Stimme des Captain klang wie ganz weit entfernt. „Frau Santiago!“, vernahm sie ihren Namen ein zweites Mal. Vielleicht ein wenig lauter.
Erst jetzt realisierte Marla die Situation. Sie befand sich noch immer auf der Krankenstation der „ Beautiful Decision “. Doch sie war wie weggetreten gewesen, betäubt durch die grausamen Erinnerungen an den Tod ihrer Eltern.
„Tun Sie sich das nicht an!“, warnte der Captain ein weiteres Mal.
„Ich muss.“ Zögernd, Schritt für Schritt ging sie auf die blutgetränkte Kammer zu. Marla wollte einer Sitte folgen, die sie sich von der Erde bewahrt hatte: Sie kam, um von einem Freund und Kollegen Abschied zu nehmen.
Trotz des Anblicks fühlte sie sich weder angewidert noch geschockt. Dafür entwickelte sich ein ganz neues Gefühl in ihrem Körper – Hass. Hass auf die Person, die einem Unschuldigen und Wehrlosen so etwas angetan hatte.
„Wer auf unserem Schiff ist zu so etwas fähig?“
„Wir werden es herausfinden, das ist gewiss!“, versicherte Vanti und schloss den Deckel der Stasiskammer.
„Nali scheidet als Attentäterin wohl aus, zu solch einer Tat wäre sie niemals fähig.“
„Das wäre für mich auch nicht in Betracht gekommen“, antwortete Rati.
‚Wem außerhalb dieser kleinen Gruppe von Anwesenden kann ich jetzt überhaupt noch trauen?’, überlegte Marla. ‚Tom, Jandin, Jack, Mane, Ina und Fahris – stehen diese Personen auf meiner Seite und verhalten sie sich
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