Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E
Hatvany-Straße erscheinen plötzlich breitschultrige, englisch gekleidete, sauber rasierte junge Herren in der Stadt. Der in Mode gekommene kurze Doppelkragen betont vorteilhaft die Nackenmuskulatur, an jeder Ecke hängen Zahnärzte ihre Ordinationszeiten hinaus, denn die vernünftige neue Ernährung erfordert ein gesundes Gebiss. Zuversichtliche junge Leute gehen zum Studium ins Ausland, Tageszeitungen schießen aus dem Boden, rütteln die Pester aus ihrem trägen, gleichgültigen Leben. In bislang stillen, ausgestorbenen Gassen erscheinen Pariser Auslagen, und quietschend rast ein Automobil an staunend gaffenden Droschkenkutschern vorüber. Wo hundert Jahre lang alte bis greise Bürger der Inneren Stadt den Alltag bestimmten, hat nun die Jugend ihre Herrschaft angetreten. Unter den leuchtenden Laternen wagt der Nachtwächter nicht mehr die Uhrzeit zu verkünden, und statt des morgendlichen Hahnenschreis reißt am Sonntag der schrille Pfiff eines Sportlertrupps Studenten und junge Arbeiter aus dem Schlaf. Mit Edisons schnurrenden Filmrollen gelangen nun Bräuche und Sitten fremder Völker, großartige Berichte von Reisen, die Kolosse von Ozeanriesen greifbar nah vor unsere Augen. Die Dampfloks der Pacific-Eisenbahn brausen vorbei, und die Niagarafälle donnern zu Tal. Ein zehnjähriger Junge kann an einem einzigen Abend die Überquerung des Atlantiks hinter sich bringen. Schade nur, dass stillose Geschäftemacher aus der großartigen Erfindung des amerikanischen Genies dumme und alberne Theaterklamotten fabrizieren, die den Pester Geschmack um Jahre zurückwerfen.
Obwohl es nun schon auf den Spätherbst zugeht, kann heute jeder beglückt durch Budapest wandeln. Aus einer mürrischen, nach Moder riechenden Stadt alter Menschen, in der bestenfalls eine an Kirchweihfeste der Schwaben erinnernde Drehorgel die lebendige Große Welt verkörperte, ist die funkelnde Stadt der Jugend siegreich hervorgegangen. Der frische Klang junger Hämmer, die Tatkraft begeisterter Männer und das präzise Werk flinker Arbeiterhände hallen aus den letzten Jahrzehnten wider. Tagsüber wurde stets gebaut, die Türme auf den Palästen strebten der Sonne entgegen, und nachts, als hätte man etwas zu Grabe getragen, transportierten unendliche Leichenzüge das vermoderte Material aus der Stadt – Überreste verblichener Menschen, verrotteter Häuser, uralter Gassen und Gewohnheiten.
Schade, dass in dieser wunderbaren Stadt, wo die Frühlingssonne auch im Winter oft über den Palästen strahlt, in dieser Stadt der gepflegten Männer und der allerschönsten Frauen – in ihren Augen funkelt die tiefe Nacht des Morgenlandes, und ihre Kleider verströmen das Parfüm eines raffinierten französischen Geschmacks, die willensstarken Männer wirken dagegen etwas hölzern, als hätten sie sich erst vor nicht allzu langer Zeit den Goldgräberschmutz von den Händen gewaschen –, ja, schade, dass bei der Arbeit am Amboss Herzensbildung und die Läuterung des Geistes etwas zu kurz gekommen sind.
Die Herzen nämlich, sie sind hier so traurig!
(1918)
Über den Dächern – Abschied vom alten Jahr
Von meinem Fenster aus blicke ich über die Dächer. Auf zylinderförmige Rauchabzüge, Dachluken und auf ein befremdliches Stangengewirr von Fernsprechleitungen, die wie langbeinige Watvögel die Dachlandschaft bevölkern und die Stimmen und Botschaften der Budapester von einem Stadtviertel ins andere transportieren. Zwischen diesen modernen Stelzenläufern dicht an dicht gespannte Schnüre, sie sind die Stimmbänder der Stadt. Während sich der matte Nachmittag wie ein müder Soldat auf der Landstraße zum Ausgang des Jahres dahinschleppt, erscheint zwischen den in Nebel, Rauch und Winter eingetauchten Türmen der Alleebäume weit entfernt wie im Märchen das Stadtwäldchen. In der herabsinkenden Dämmerung entschwinden langsam die Dächer und Rauchfänge nah und fern, als wollten sie sich wie Flöße einzeln über dunkle Wasser auf den Weg machen: Die aufgepflanzten Eisenstäbe stehen starr, mit weit gespreizten Beinen, die Stimmen der Stadt schulternd, diesen nie versiegenden Strom, der wie ein immerwährender Windhauch Tag und Nacht durch die Leitungen über der Stadt fließt. Unermüdlich kriecht und strömt das weltstädtische Stimmengewirr über die Dächer, vermittelt Geschäfte, transportiert Befehle, befördert Botschaften von Verliebten, trägt Klatsch und Weibergeschwätz hin und her.
Ja, wenn die Stimmen über den Dächern plötzlich zu
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