Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Titel: Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich liebte eine schöne Frau: Miniaturen
Vom Netzwerk:
Wehen, und Elek Vörös, der Zigeunerprimas, wurde dringend am Telefon verlangt. In einem stillen Zimmer spricht jemand leise in die Muschel, und eine gelangweilte Dame hört sich im Bett die nicht enden wollenden geistlosen Sätze an. Verliebte wünschen sich gegenseitig eine gute Nacht, am frühen Morgen tönt aus zwanzig Leitungen die Nachricht vom nahenden Zug des Königs, unterdessen sucht eine Kinderstimme im Haus des Toten einen Dirigenten mit Pepitaweste, der angeblich nachts betrunken in die Donau gegangen ist … In Buda wird das Hentzi-Denkmal gesprengt, und eine sonore Stimme meldet den Vorfall nachts auf mysteriöse Weise dem diensthabenden Redakteur – als ob der Täter höchstpersönlich über den Anschlagberichtete, sogleich schrillen sämtliche Apparate der Polizeihauptmannschaft von Buda in der alten Telefonzentrale … Gábor Baross trifft seine Verfügungen über das gesamte Eisenbahnnetz … Die Millenniumsausstellung wird am Ufer des Stadtwäldchensees aufgebaut, und per Fernsprecher meldet jemand, dass es zum Handkuss gekommen ist. Wochenlang ist man auf sämtlichen Leitungen hinter Kecskeméti her – Kaiser Wilhelm erkundigt sich von der Budaer Burg aus nach der Gesundheit seiner Kinder –, der Zeitungsreporter verfolgt den Selbstmörder Todor Jakabfy auf seinem Weg und meldet ordnungsgemäß fernmündlich den Pistolenschuss in der Esterházy-Gasse – berühmte Duellanten, sterbende Staatsmänner, Pferderennen werden am Telefonhörer verfolgt – der Durchstich des Simplontunnels oder Blériots Kanalüberquerung, der Selbstmord des Mimen Vidor oder der Einlauf beim Wiener Derby: All das währte im Leben von Júlia nur wenige Sekunden. Auf der großen Schiffsschaukel des Schicksals steigt ein neues Schiffchen empor, wieder ertönt die Klingel, Ereignisse, Leben, Meldungen, Schreie erreichen die alte Frau jeweils in Form einer Stimme. Im Alltag dieser pflichtbewussten, fleißigen, gewissenhaft funktionierenden ältlichen Jungfer hörten sich Tausende von Stimmen an wie der brausende Lärm der Straße von einem hohen Turm aus. Gewiss war ihr manche Stimme von Pest schon vertraut, und ihre Hand stellte die täglichen Verbindungen mechanisch her – zwischen Verliebten, Freunden, Geschäftspartnern … Helle, brummige, traurig trübsinnige, Respekt einflößende, empfindsame, lüstern-sinnliche Stimmen, wie die Menschen eben miteinander zu reden pflegten: Sie gelangten an die Seele des Fräulein Matkovics ungefähr so, wie man oben im fünften Stockwerk das Klingeln der elektrischen Straßenbahn vernimmt.
    Sie hat so viel gehört und wusste doch gewiss so gut wie nichts von dem, was sie hörte. Das pflichtbewusste alte Mädchen dachte, wenn sie sich abends ihren Milchkaffee wärmte, sicher nicht an das, was die Gräfin mit dem Grafen besprochen hatte, nicht daran, wo der Kavalier im Stadtwäldchen auf seine leichtsinnige Liebste warten würde und was ein kleines Fräulein seiner Freundin anvertraut hatte … Das ganze bunte, tausendstimmige, verworrene, unzufriedene und unstete Pester Leben ließ sie hinter sich, wenn sie ihren Dienstkittel auszog. Vielleicht hörte sie am Abend nur noch die Spieluhr an der Wand und spülte ihre erschöpften Stimmbänder mit lauwarmem Kamillentee. Jetzt ist sie gestorben und hat dreißig Jahre interessanter, wahrscheinlich hochinteressanter Geschichten aus der sich ausdehnenden Stadt mit ins Grab genommen. Ob sie da unten wohl mitbekommt, wie man hier oben mit dem Durchschalten und Vermitteln weitermacht?
    An diesem Abend des alten Jahres spannen sich, in Nebel und Dämmerung gehüllt, über den Dächern des Viertels die Leitungen wie Sorgenfalten auf Budapests Stirn. Die Rauchfänge, diese gedrungenen Kerle, schmauchen schläfrig vor sich hin wie breitschultrige Lebensmüde, die das Treiben der Stadt und der Straße gar nicht mehr kümmert. Blinde Dachfenster, an denen Zugvögel oder umherirrende Seelen vergeblich Einlass begehren, dulden mit spleenigem Gleichmut, dass vier Etagen tiefer auf der abendlichen Gasse Mädchen ihre entblößten Knöchel zeigen, die Augen der Frauen funkeln und die Dame ihr mit duftendem Reismehl gepudertes Haar ordnet. Hier oben tun nur diese starren eisernen Vögel kühl und teilnahmslos ihre Pflicht. Die Stimmen der Langeweile, der sprudelnden Geschwätzigkeit, das staubtrockene Knattern der Geschäftsgespräche, Worte von Liebe, Gleichgültigkeit, Unglück, Sünde, Leid, Hoffnung – alles, was es in einer Großstadt zu hören

Weitere Kostenlose Bücher